Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

nachfolgendes Essen mit wissenschaftlichen Vorträgen darüber so
schön geknüpft hätte. -- Diese Bekanntschaft führte mich dem
Studium der Anatomie zu, welche mir aber bald alle Eßkunst
verleidet hätte.

Aus einem gleichzeitig gehörten Collegium über Homiletik
merkte ich mir die Regel: vor Besteigung der Kanzel das Wasser
abzuschlagen, auch für andere Fälle, welche länger dauernde
ununterbrochene Anwesenheit erforderten, wobei nur der sonder-
bare Terminus: "Abschlagen" auffiel.

Die Physiologie fing schon damals an zu phantasieren,
statt zu demonstriren. Da wurde Stunden lang vom männ-
lichen und weiblichen Verhalten der Leber und Milz, von Po-
laritäten, Differenz und Indifferenz etc. deklamirt, der Bissen
sollte das Bestreben haben, zum Menschen zu werden und der-
gleichen. Die Ohren klangen und man hatte nichts gelernt.

Positiveres gab ein Collegium über die Pandekten. Ven-
ter non patitur moram. -- Tot portiones, tot capita. --
Melius est superflua addere, quam necessaria omittere
u. a.
waren Themata, welche zu den ersprießlichsten Betrachtungen
Anlaß gaben.

Der Lehrer der Botanik hatte das gemeinnützige schöne
Bestreben, bei jeder Pflanze über deren Eßbarkeit oder Nichteß-
barkeit das Nöthige zu bemerken. Es kam ihm aber zu, auch
auf Landwirthschaft Rücksicht zu nehmen. Die Sache wurde
nun dadurch schwierig, daß er, als ein Mann, der sehr sorg-
fältig der rechten Mitte zugethan war, und es mit keiner Partei
verderben wollte, entweder sagte: "Diese Pflanze wird vom
Menschen und Vieh ohne Nachtheil gefressen, oder von Vieh
und Menschen ohne Nachtheil verspeiset." Damit wechselte er
nun ab, und glaubte es auf diese Art sowohl diesem als jenem
recht gemacht zu haben, was aber keineswegs der Fall war.

Das genießbarste Collegium war ohne Frage das über
Chemie. Der sehr würdige Lehrer, dem nur etwas früher die

nachfolgendes Eſſen mit wiſſenſchaftlichen Vortraͤgen daruͤber ſo
ſchoͤn geknuͤpft haͤtte. — Dieſe Bekanntſchaft fuͤhrte mich dem
Studium der Anatomie zu, welche mir aber bald alle Eßkunſt
verleidet haͤtte.

Aus einem gleichzeitig gehoͤrten Collegium uͤber Homiletik
merkte ich mir die Regel: vor Beſteigung der Kanzel das Waſſer
abzuſchlagen, auch fuͤr andere Faͤlle, welche laͤnger dauernde
ununterbrochene Anweſenheit erforderten, wobei nur der ſonder-
bare Terminus: „Abſchlagen“ auffiel.

Die Phyſiologie fing ſchon damals an zu phantaſieren,
ſtatt zu demonſtriren. Da wurde Stunden lang vom maͤnn-
lichen und weiblichen Verhalten der Leber und Milz, von Po-
laritaͤten, Differenz und Indifferenz ꝛc. deklamirt, der Biſſen
ſollte das Beſtreben haben, zum Menſchen zu werden und der-
gleichen. Die Ohren klangen und man hatte nichts gelernt.

Poſitiveres gab ein Collegium uͤber die Pandekten. Ven-
ter non patitur moram. — Tot portiones, tot capita. —
Melius est superflua addere, quam necessaria omittere
u. a.
waren Themata, welche zu den erſprießlichſten Betrachtungen
Anlaß gaben.

Der Lehrer der Botanik hatte das gemeinnuͤtzige ſchoͤne
Beſtreben, bei jeder Pflanze uͤber deren Eßbarkeit oder Nichteß-
barkeit das Noͤthige zu bemerken. Es kam ihm aber zu, auch
auf Landwirthſchaft Ruͤckſicht zu nehmen. Die Sache wurde
nun dadurch ſchwierig, daß er, als ein Mann, der ſehr ſorg-
faͤltig der rechten Mitte zugethan war, und es mit keiner Partei
verderben wollte, entweder ſagte: „Dieſe Pflanze wird vom
Menſchen und Vieh ohne Nachtheil gefreſſen, oder von Vieh
und Menſchen ohne Nachtheil verſpeiſet.“ Damit wechſelte er
nun ab, und glaubte es auf dieſe Art ſowohl dieſem als jenem
recht gemacht zu haben, was aber keineswegs der Fall war.

Das genießbarſte Collegium war ohne Frage das uͤber
Chemie. Der ſehr wuͤrdige Lehrer, dem nur etwas fruͤher die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0155" n="141"/>
nachfolgendes E&#x017F;&#x017F;en mit wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Vortra&#x0364;gen daru&#x0364;ber &#x017F;o<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n geknu&#x0364;pft ha&#x0364;tte. &#x2014; Die&#x017F;e Bekannt&#x017F;chaft fu&#x0364;hrte mich dem<lb/>
Studium der Anatomie zu, welche mir aber bald alle Eßkun&#x017F;t<lb/>
verleidet ha&#x0364;tte.</p><lb/>
        <p>Aus einem gleichzeitig geho&#x0364;rten Collegium u&#x0364;ber Homiletik<lb/>
merkte ich mir die Regel: vor Be&#x017F;teigung der Kanzel das Wa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
abzu&#x017F;chlagen, auch fu&#x0364;r andere Fa&#x0364;lle, welche la&#x0364;nger dauernde<lb/>
ununterbrochene Anwe&#x017F;enheit erforderten, wobei nur der &#x017F;onder-<lb/>
bare Terminus: &#x201E;Ab&#x017F;chlagen&#x201C; auffiel.</p><lb/>
        <p>Die Phy&#x017F;iologie fing &#x017F;chon damals an zu phanta&#x017F;ieren,<lb/>
&#x017F;tatt zu demon&#x017F;triren. Da wurde Stunden lang vom ma&#x0364;nn-<lb/>
lichen und weiblichen Verhalten der Leber und Milz, von Po-<lb/>
larita&#x0364;ten, Differenz und Indifferenz &#xA75B;c. deklamirt, der Bi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ollte das Be&#x017F;treben haben, zum Men&#x017F;chen zu werden und der-<lb/>
gleichen. Die Ohren klangen und man hatte nichts gelernt.</p><lb/>
        <p>Po&#x017F;itiveres gab ein Collegium u&#x0364;ber die Pandekten. <hi rendition="#aq">Ven-<lb/>
ter non patitur moram. &#x2014; Tot portiones, tot capita. &#x2014;<lb/>
Melius est superflua addere, quam necessaria omittere</hi> u. a.<lb/>
waren Themata, welche zu den er&#x017F;prießlich&#x017F;ten Betrachtungen<lb/>
Anlaß gaben.</p><lb/>
        <p>Der Lehrer der Botanik hatte das gemeinnu&#x0364;tzige &#x017F;cho&#x0364;ne<lb/>
Be&#x017F;treben, bei jeder Pflanze u&#x0364;ber deren Eßbarkeit oder Nichteß-<lb/>
barkeit das No&#x0364;thige zu bemerken. Es kam ihm aber zu, auch<lb/>
auf Landwirth&#x017F;chaft Ru&#x0364;ck&#x017F;icht zu nehmen. Die Sache wurde<lb/>
nun dadurch &#x017F;chwierig, daß er, als ein Mann, der &#x017F;ehr &#x017F;org-<lb/>
fa&#x0364;ltig der rechten Mitte zugethan war, und es mit keiner Partei<lb/>
verderben wollte, entweder &#x017F;agte: &#x201E;Die&#x017F;e Pflanze wird vom<lb/>
Men&#x017F;chen und Vieh ohne Nachtheil gefre&#x017F;&#x017F;en, oder von Vieh<lb/>
und Men&#x017F;chen ohne Nachtheil ver&#x017F;pei&#x017F;et.&#x201C; Damit wech&#x017F;elte er<lb/>
nun ab, und glaubte es auf die&#x017F;e Art &#x017F;owohl die&#x017F;em als jenem<lb/>
recht gemacht zu haben, was aber keineswegs der Fall war.</p><lb/>
        <p>Das genießbar&#x017F;te Collegium war ohne Frage das u&#x0364;ber<lb/>
Chemie. Der &#x017F;ehr wu&#x0364;rdige Lehrer, dem nur etwas fru&#x0364;her die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[141/0155] nachfolgendes Eſſen mit wiſſenſchaftlichen Vortraͤgen daruͤber ſo ſchoͤn geknuͤpft haͤtte. — Dieſe Bekanntſchaft fuͤhrte mich dem Studium der Anatomie zu, welche mir aber bald alle Eßkunſt verleidet haͤtte. Aus einem gleichzeitig gehoͤrten Collegium uͤber Homiletik merkte ich mir die Regel: vor Beſteigung der Kanzel das Waſſer abzuſchlagen, auch fuͤr andere Faͤlle, welche laͤnger dauernde ununterbrochene Anweſenheit erforderten, wobei nur der ſonder- bare Terminus: „Abſchlagen“ auffiel. Die Phyſiologie fing ſchon damals an zu phantaſieren, ſtatt zu demonſtriren. Da wurde Stunden lang vom maͤnn- lichen und weiblichen Verhalten der Leber und Milz, von Po- laritaͤten, Differenz und Indifferenz ꝛc. deklamirt, der Biſſen ſollte das Beſtreben haben, zum Menſchen zu werden und der- gleichen. Die Ohren klangen und man hatte nichts gelernt. Poſitiveres gab ein Collegium uͤber die Pandekten. Ven- ter non patitur moram. — Tot portiones, tot capita. — Melius est superflua addere, quam necessaria omittere u. a. waren Themata, welche zu den erſprießlichſten Betrachtungen Anlaß gaben. Der Lehrer der Botanik hatte das gemeinnuͤtzige ſchoͤne Beſtreben, bei jeder Pflanze uͤber deren Eßbarkeit oder Nichteß- barkeit das Noͤthige zu bemerken. Es kam ihm aber zu, auch auf Landwirthſchaft Ruͤckſicht zu nehmen. Die Sache wurde nun dadurch ſchwierig, daß er, als ein Mann, der ſehr ſorg- faͤltig der rechten Mitte zugethan war, und es mit keiner Partei verderben wollte, entweder ſagte: „Dieſe Pflanze wird vom Menſchen und Vieh ohne Nachtheil gefreſſen, oder von Vieh und Menſchen ohne Nachtheil verſpeiſet.“ Damit wechſelte er nun ab, und glaubte es auf dieſe Art ſowohl dieſem als jenem recht gemacht zu haben, was aber keineswegs der Fall war. Das genießbarſte Collegium war ohne Frage das uͤber Chemie. Der ſehr wuͤrdige Lehrer, dem nur etwas fruͤher die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/155
Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/155>, abgerufen am 22.11.2024.