Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.erkannte es als eine Speise und aß es. Es schmeckte ihm sehr Man gebe einem Eßlustigen ein Stück Brod. Er wird Animalisches fordert Vegetabilisches. Vegetabilisches for- Es ist wahr, man hat's in der Philosophie mit den Ge- erkannte es als eine Speiſe und aß es. Es ſchmeckte ihm ſehr Man gebe einem Eßluſtigen ein Stuͤck Brod. Er wird Animaliſches fordert Vegetabiliſches. Vegetabiliſches for- Es iſt wahr, man hat’s in der Philoſophie mit den Ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0162" n="148"/> erkannte es als eine Speiſe und aß es. Es ſchmeckte ihm ſehr<lb/> gut, und er bedauerte nur, daß er kein Brod habe, um es da-<lb/> zu eſſen zu koͤnnen. Worin beſteht das Ernſte und worin das<lb/> Laͤcherliche dieſer Anekdote? —</p><lb/> <p>Man gebe einem Eßluſtigen ein Stuͤck Brod. Er wird<lb/> ſeufzen: ach wenn ich nur ein Stuͤckchen Kaͤſe oder Wurſt dazu<lb/> haͤtte. Man ſchenke einem Armen eine Wurſt, und er wird ſich<lb/> ein Stuͤck Brod dazu betteln. Man trage Rindfleiſch auf;<lb/> jeder vernuͤnftige Gaſt wird denken: wo bleibt der Senf? —<lb/> Warum huͤpft jener lockige rothbackige Knabe ſo froͤhlich? Er<lb/> hat eine dampfende Bratwurſt auf dem Wecken in der Hand,<lb/> die er jauchzend emporhaͤlt. — Spricht man zu unverdorbe-<lb/> nen Naturſoͤhnen: „Stockfiſch iſt ein gutes Eſſen“ — ſo wird<lb/> die Antwort lauten: ja, mit durchgetriebenen Erbſen! — Man<lb/> wird kaum das Wort „Sauerkraut“ ausgeſprochen haben, ſo<lb/> wird man (wie bei einer mit dem Fiedelbogen angeſtrichenen<lb/> Glasſcheibe die Quinte) den Zuſatz: „und Schweinefleiſch„<lb/> mit- und nachtoͤnen hoͤren. — Lobt man ein Linſengericht,<lb/> ſo erwiedert der Volkswitz: ja, zu jeder Linſe eine Bratwurſt<lb/> iſt was Schoͤnes. Wie lieblich harmonirt Schinken und Kopf-<lb/> ſalat! — Purpur fordert Gruͤn.</p><lb/> <p>Animaliſches fordert Vegetabiliſches. Vegetabiliſches for-<lb/> dert Animaliſches. Das Ternaire, Stickſtoffloſe fordert zu ſei-<lb/> ner Ergaͤnzung Quaternaires, Stickſtoffhaltiges.</p><lb/> <p>Es iſt wahr, man hat’s in der Philoſophie mit den Ge-<lb/> genſaͤtzen, und in der Kunſt mit dem ewigen Contraſt und Con-<lb/> trapoſt etwas uͤbertrieben; nichtsdeſtoweniger bleibt gewiß, daß<lb/> ohne die genannten Gegenſaͤtze von wahrer Eßkunſt gar keine<lb/> Rede ſein kann. Ein blos vegetabiliſches, wie ein blos anima-<lb/> liſches Gaſtmahl iſt fuͤr den Eßkuͤnſtler ſchlechthin ein Abſur-<lb/> dum, ein Gemaͤlde ohne Licht und Schatten, alſo gar nichts.<lb/> Wenn nun von zwei Gegenſtaͤnden jeder rein fuͤr ſich, ohne<lb/> den andern gedacht, abſurd iſt und nur durch die Verbindung<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [148/0162]
erkannte es als eine Speiſe und aß es. Es ſchmeckte ihm ſehr
gut, und er bedauerte nur, daß er kein Brod habe, um es da-
zu eſſen zu koͤnnen. Worin beſteht das Ernſte und worin das
Laͤcherliche dieſer Anekdote? —
Man gebe einem Eßluſtigen ein Stuͤck Brod. Er wird
ſeufzen: ach wenn ich nur ein Stuͤckchen Kaͤſe oder Wurſt dazu
haͤtte. Man ſchenke einem Armen eine Wurſt, und er wird ſich
ein Stuͤck Brod dazu betteln. Man trage Rindfleiſch auf;
jeder vernuͤnftige Gaſt wird denken: wo bleibt der Senf? —
Warum huͤpft jener lockige rothbackige Knabe ſo froͤhlich? Er
hat eine dampfende Bratwurſt auf dem Wecken in der Hand,
die er jauchzend emporhaͤlt. — Spricht man zu unverdorbe-
nen Naturſoͤhnen: „Stockfiſch iſt ein gutes Eſſen“ — ſo wird
die Antwort lauten: ja, mit durchgetriebenen Erbſen! — Man
wird kaum das Wort „Sauerkraut“ ausgeſprochen haben, ſo
wird man (wie bei einer mit dem Fiedelbogen angeſtrichenen
Glasſcheibe die Quinte) den Zuſatz: „und Schweinefleiſch„
mit- und nachtoͤnen hoͤren. — Lobt man ein Linſengericht,
ſo erwiedert der Volkswitz: ja, zu jeder Linſe eine Bratwurſt
iſt was Schoͤnes. Wie lieblich harmonirt Schinken und Kopf-
ſalat! — Purpur fordert Gruͤn.
Animaliſches fordert Vegetabiliſches. Vegetabiliſches for-
dert Animaliſches. Das Ternaire, Stickſtoffloſe fordert zu ſei-
ner Ergaͤnzung Quaternaires, Stickſtoffhaltiges.
Es iſt wahr, man hat’s in der Philoſophie mit den Ge-
genſaͤtzen, und in der Kunſt mit dem ewigen Contraſt und Con-
trapoſt etwas uͤbertrieben; nichtsdeſtoweniger bleibt gewiß, daß
ohne die genannten Gegenſaͤtze von wahrer Eßkunſt gar keine
Rede ſein kann. Ein blos vegetabiliſches, wie ein blos anima-
liſches Gaſtmahl iſt fuͤr den Eßkuͤnſtler ſchlechthin ein Abſur-
dum, ein Gemaͤlde ohne Licht und Schatten, alſo gar nichts.
Wenn nun von zwei Gegenſtaͤnden jeder rein fuͤr ſich, ohne
den andern gedacht, abſurd iſt und nur durch die Verbindung
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