Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.Wasser unter den Wein zu gießen. Casaubonus behauptet Eben so überziert, versüßlicht, verkünstelt und entstellend Das Chinesische warme Weintrinken nenne ich blos, um Das heißt weder männlich, noch schön getrunken. Der mächtige Perserkönig Darius ließ auf seiner Grab- Es ist nicht gut und nicht schön, mehr zu trinken, als 17
Waſſer unter den Wein zu gießen. Caſaubonus behauptet Eben ſo uͤberziert, verſuͤßlicht, verkuͤnſtelt und entſtellend Das Chineſiſche warme Weintrinken nenne ich blos, um Das heißt weder maͤnnlich, noch ſchoͤn getrunken. Der maͤchtige Perſerkoͤnig Darius ließ auf ſeiner Grab- Es iſt nicht gut und nicht ſchoͤn, mehr zu trinken, als 17
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0271" n="257"/> Waſſer unter den Wein zu gießen. <hi rendition="#g">Caſaubonus</hi> behauptet<lb/> daſſelbe von <hi rendition="#g">Amphitryon</hi>, Koͤnig von Theben. Es iſt recht<lb/> Schade, daß man nicht im Reinen daruͤber iſt. Man koͤnnte<lb/> dem Erfinder ein Denkmal errichten. So viel iſt gewiß, daß<lb/> jeder denkende geſunde Eßkuͤnſtler dieſes Miſchen, Verduͤnnen,<lb/> Entſtellen, Schwaͤchen, Verderben und Vernichten der ſpezifi-<lb/> ſchen Kraft des Weines gerade uͤber Tiſch, nicht anſtehen wird,<lb/> fuͤr ganz und gar ungeignet zu erklaͤren.</p><lb/> <p>Eben ſo uͤberziert, verſuͤßlicht, verkuͤnſtelt und entſtellend<lb/> iſt das Roͤmiſche Verfahren, wovon <hi rendition="#g">Apicius</hi> handelt, Wein<lb/> vor dem Genuß uͤber Veilchen oder Roſen zu gießen. Es iſt<lb/> Schade, daß wir noch keine Suppe von Zuckerwaſſer, Milch<lb/> und Vergißmeinnicht haben.</p><lb/> <p>Das Chineſiſche warme Weintrinken nenne ich blos, um<lb/> kurz bemerklich zu machen, wie widerlich alle Ueberkuͤnſtlung,<lb/> alles Unnatuͤrliche iſt.</p><lb/> <p>Das heißt weder maͤnnlich, noch ſchoͤn getrunken.</p><lb/> <p>Der maͤchtige Perſerkoͤnig <hi rendition="#g">Darius</hi> ließ auf ſeiner Grab-<lb/> ſchrift bemerken, daß er haͤtte viel Wein trinken, und denſelben<lb/><hi rendition="#g">ſchoͤn</hi> vertragen koͤnnen (ἠδυναμην και ὀινον πινειν πολυν, και<lb/> τουτον φερειν καλως). <hi rendition="#g">Bayle</hi> ruͤhmt dieß als <hi rendition="#aq">une bonne qua-<lb/> lité, une force, une puissance, l’effet d’un tempérament<lb/> robuste.</hi> — Man kann damit auch <hi rendition="#g">Goethe’s</hi> Rochusfeſt ver-<lb/> gleichen. — Was aber in der fuͤnften Vorleſung uͤber das Quantum<lb/> der Speiſen geſagt wurde, mag auch von dem der Getraͤnke gelten.</p><lb/> <p>Es iſt nicht gut und nicht ſchoͤn, mehr zu trinken, als<lb/> man vertraͤgt, wer alſo wenig vertraͤgt, trinke nicht viel; woraus<lb/> aber nicht nothwendig folgt, daß der, welcher viel vertraͤgt,<lb/> gerade auch viel trinken ſolle. Doch iſt dieſes Viel und<lb/> Wenig ſehr relativ. So charakteriſirt ſich der in Frankreich<lb/> reiſende Eßkuͤnſtler unverkennbar als Deutſcher oder Englaͤnder,<lb/> wenn er die zu ſeinem Couvert fuͤr ihn hingeſtellte Flaſche<lb/> Wein austrinkt, welches der Franzoſe nicht thut.</p><lb/> <fw place="bottom" type="sig">17</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [257/0271]
Waſſer unter den Wein zu gießen. Caſaubonus behauptet
daſſelbe von Amphitryon, Koͤnig von Theben. Es iſt recht
Schade, daß man nicht im Reinen daruͤber iſt. Man koͤnnte
dem Erfinder ein Denkmal errichten. So viel iſt gewiß, daß
jeder denkende geſunde Eßkuͤnſtler dieſes Miſchen, Verduͤnnen,
Entſtellen, Schwaͤchen, Verderben und Vernichten der ſpezifi-
ſchen Kraft des Weines gerade uͤber Tiſch, nicht anſtehen wird,
fuͤr ganz und gar ungeignet zu erklaͤren.
Eben ſo uͤberziert, verſuͤßlicht, verkuͤnſtelt und entſtellend
iſt das Roͤmiſche Verfahren, wovon Apicius handelt, Wein
vor dem Genuß uͤber Veilchen oder Roſen zu gießen. Es iſt
Schade, daß wir noch keine Suppe von Zuckerwaſſer, Milch
und Vergißmeinnicht haben.
Das Chineſiſche warme Weintrinken nenne ich blos, um
kurz bemerklich zu machen, wie widerlich alle Ueberkuͤnſtlung,
alles Unnatuͤrliche iſt.
Das heißt weder maͤnnlich, noch ſchoͤn getrunken.
Der maͤchtige Perſerkoͤnig Darius ließ auf ſeiner Grab-
ſchrift bemerken, daß er haͤtte viel Wein trinken, und denſelben
ſchoͤn vertragen koͤnnen (ἠδυναμην και ὀινον πινειν πολυν, και
τουτον φερειν καλως). Bayle ruͤhmt dieß als une bonne qua-
lité, une force, une puissance, l’effet d’un tempérament
robuste. — Man kann damit auch Goethe’s Rochusfeſt ver-
gleichen. — Was aber in der fuͤnften Vorleſung uͤber das Quantum
der Speiſen geſagt wurde, mag auch von dem der Getraͤnke gelten.
Es iſt nicht gut und nicht ſchoͤn, mehr zu trinken, als
man vertraͤgt, wer alſo wenig vertraͤgt, trinke nicht viel; woraus
aber nicht nothwendig folgt, daß der, welcher viel vertraͤgt,
gerade auch viel trinken ſolle. Doch iſt dieſes Viel und
Wenig ſehr relativ. So charakteriſirt ſich der in Frankreich
reiſende Eßkuͤnſtler unverkennbar als Deutſcher oder Englaͤnder,
wenn er die zu ſeinem Couvert fuͤr ihn hingeſtellte Flaſche
Wein austrinkt, welches der Franzoſe nicht thut.
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