Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Arno Holz. Wie Gold in meine ärmliche Mansarde Durchs offne Fenster fällt der Sonnenschein, Und graubefrackt lärmt eine Spatzengarde: Ich schnitt es gern in alle Rinden ein! Die Luft weht lau und eine Linde spreitet Grün übers Dach ihr junges Laubpanier Und vor mir auf dem Tisch liegt ausgebreitet Fein säuberlich ein Bogen Schreibpapier. O lang ist's her, daß mir's im Hirne blitzte! Im Winterschnee erfror die Phantasie; Erst heute war's, daß ich den Bleistift spitzte, Erst heut in dieser Frühlingsscenerie. Weh, mein Talent versickert schon im Sande, Des eitlen Nichtsthuns bin ich endlich satt, Drum, da ich ihn noch nie sah auf dem Lande, Besing' ich nun den Frühling in der Stadt. Denn nicht am Waldrand bin ich aufgewachsen Und kein Naturkind gab mir das Geleit, Ich seh die Welt sich drehn um ihre Achsen Als Kind der Großstadt und der neuen Zeit. Tagaus, tagein umrollt vom Qualm der Essen, War's oft mein Herz, das lautauf schlug und schrie, Und dennoch, dennoch hab ich nie vergessen Das goldne Wort: Auch dies ist Poesie! O wie so anders, als die Herren singen, Stellt sich der Lenz hier in der Großstadt ein! Er weiß sich auch noch anders zu verdingen, Als nur als Vogelsang und Vollmondschein. Er heult als Südwind um die morschen Dächer Und wimmert wie ein kranker Komödiant, Bis licht die Sonne ihren goldnen Fächer Durch Wolken lächelnd auseinanderspannt. Und Frühling! Frühling! schallt's aus allen Kehlen, Der Bettler hört's und weint des Nachts am Quai; Ein süßer Schauer rinnt durch alle Seelen Und durch die Straßen der geschmolzne Schnee. Arno Holz. Wie Gold in meine ärmliche Manſarde Durchs offne Fenſter fällt der Sonnenſchein, Und graubefrackt lärmt eine Spatzengarde: Ich ſchnitt es gern in alle Rinden ein! Die Luft weht lau und eine Linde ſpreitet Grün übers Dach ihr junges Laubpanier Und vor mir auf dem Tiſch liegt ausgebreitet Fein ſäuberlich ein Bogen Schreibpapier. O lang iſt’s her, daß mir’s im Hirne blitzte! Im Winterſchnee erfror die Phantaſie; Erſt heute war’s, daß ich den Bleiſtift ſpitzte, Erſt heut in dieſer Frühlingsſcenerie. Weh, mein Talent verſickert ſchon im Sande, Des eitlen Nichtsthuns bin ich endlich ſatt, Drum, da ich ihn noch nie ſah auf dem Lande, Beſing’ ich nun den Frühling in der Stadt. Denn nicht am Waldrand bin ich aufgewachſen Und kein Naturkind gab mir das Geleit, Ich ſeh die Welt ſich drehn um ihre Achſen Als Kind der Großſtadt und der neuen Zeit. Tagaus, tagein umrollt vom Qualm der Eſſen, War’s oft mein Herz, das lautauf ſchlug und ſchrie, Und dennoch, dennoch hab ich nie vergeſſen Das goldne Wort: Auch dies iſt Poeſie! O wie ſo anders, als die Herren ſingen, Stellt ſich der Lenz hier in der Großſtadt ein! Er weiß ſich auch noch anders zu verdingen, Als nur als Vogelſang und Vollmondſchein. Er heult als Südwind um die morſchen Dächer Und wimmert wie ein kranker Komödiant, Bis licht die Sonne ihren goldnen Fächer Durch Wolken lächelnd auseinanderſpannt. Und Frühling! Frühling! ſchallt’s aus allen Kehlen, Der Bettler hört’s und weint des Nachts am Quai; Ein ſüßer Schauer rinnt durch alle Seelen Und durch die Straßen der geſchmolzne Schnee. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0157" n="139"/> <fw place="top" type="header">Arno Holz.</fw><lb/> <lg n="2"> <l>Wie Gold in meine ärmliche Manſarde</l><lb/> <l>Durchs offne Fenſter fällt der Sonnenſchein,</l><lb/> <l>Und graubefrackt lärmt eine Spatzengarde:</l><lb/> <l>Ich ſchnitt es gern in alle Rinden ein!</l><lb/> <l>Die Luft weht lau und eine Linde ſpreitet</l><lb/> <l>Grün übers Dach ihr junges Laubpanier</l><lb/> <l>Und vor mir auf dem Tiſch liegt ausgebreitet</l><lb/> <l>Fein ſäuberlich ein Bogen Schreibpapier.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>O lang iſt’s her, daß mir’s im Hirne blitzte!</l><lb/> <l>Im Winterſchnee erfror die Phantaſie;</l><lb/> <l>Erſt heute war’s, daß ich den Bleiſtift ſpitzte,</l><lb/> <l>Erſt heut in dieſer Frühlingsſcenerie.</l><lb/> <l>Weh, mein Talent verſickert ſchon im Sande,</l><lb/> <l>Des eitlen Nichtsthuns bin ich endlich ſatt,</l><lb/> <l>Drum, da ich ihn noch nie ſah auf dem Lande,</l><lb/> <l>Beſing’ ich nun den Frühling in der Stadt.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Denn nicht am Waldrand bin ich aufgewachſen</l><lb/> <l>Und kein Naturkind gab mir das Geleit,</l><lb/> <l>Ich ſeh die Welt ſich drehn um ihre Achſen</l><lb/> <l>Als Kind der Großſtadt und der neuen Zeit.</l><lb/> <l>Tagaus, tagein umrollt vom Qualm der Eſſen,</l><lb/> <l>War’s oft mein Herz, das lautauf ſchlug und ſchrie,</l><lb/> <l>Und dennoch, dennoch hab ich nie vergeſſen</l><lb/> <l>Das goldne Wort: Auch dies iſt Poeſie!</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>O wie ſo anders, als die Herren ſingen,</l><lb/> <l>Stellt ſich der Lenz hier in der Großſtadt ein!</l><lb/> <l>Er weiß ſich auch noch anders zu verdingen,</l><lb/> <l>Als nur als Vogelſang und Vollmondſchein.</l><lb/> <l>Er heult als Südwind um die morſchen Dächer</l><lb/> <l>Und wimmert wie ein kranker Komödiant,</l><lb/> <l>Bis licht die Sonne ihren goldnen Fächer</l><lb/> <l>Durch Wolken lächelnd auseinanderſpannt.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Und Frühling! 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Arno Holz.
Wie Gold in meine ärmliche Manſarde
Durchs offne Fenſter fällt der Sonnenſchein,
Und graubefrackt lärmt eine Spatzengarde:
Ich ſchnitt es gern in alle Rinden ein!
Die Luft weht lau und eine Linde ſpreitet
Grün übers Dach ihr junges Laubpanier
Und vor mir auf dem Tiſch liegt ausgebreitet
Fein ſäuberlich ein Bogen Schreibpapier.
O lang iſt’s her, daß mir’s im Hirne blitzte!
Im Winterſchnee erfror die Phantaſie;
Erſt heute war’s, daß ich den Bleiſtift ſpitzte,
Erſt heut in dieſer Frühlingsſcenerie.
Weh, mein Talent verſickert ſchon im Sande,
Des eitlen Nichtsthuns bin ich endlich ſatt,
Drum, da ich ihn noch nie ſah auf dem Lande,
Beſing’ ich nun den Frühling in der Stadt.
Denn nicht am Waldrand bin ich aufgewachſen
Und kein Naturkind gab mir das Geleit,
Ich ſeh die Welt ſich drehn um ihre Achſen
Als Kind der Großſtadt und der neuen Zeit.
Tagaus, tagein umrollt vom Qualm der Eſſen,
War’s oft mein Herz, das lautauf ſchlug und ſchrie,
Und dennoch, dennoch hab ich nie vergeſſen
Das goldne Wort: Auch dies iſt Poeſie!
O wie ſo anders, als die Herren ſingen,
Stellt ſich der Lenz hier in der Großſtadt ein!
Er weiß ſich auch noch anders zu verdingen,
Als nur als Vogelſang und Vollmondſchein.
Er heult als Südwind um die morſchen Dächer
Und wimmert wie ein kranker Komödiant,
Bis licht die Sonne ihren goldnen Fächer
Durch Wolken lächelnd auseinanderſpannt.
Und Frühling! Frühling! ſchallt’s aus allen Kehlen,
Der Bettler hört’s und weint des Nachts am Quai;
Ein ſüßer Schauer rinnt durch alle Seelen
Und durch die Straßen der geſchmolzne Schnee.
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Zitationshilfe: | Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/157>, abgerufen am 16.02.2025. |