Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Arno Holz. Und jetzt, wo schon der Abend seine Lichter Rothgolden über alle Dächer strahlt, Krönst du mich lächelnd nun zu deinem Dichter Und hast mir rhythmisch das Papier bemalt. Ich aber gebe dieses Blatt den Winden, Die Fangball spielen um den Kirchthurmknauf. Und wenn's noch heut die Straßenkehrer finden, Was kümmert's mich? Flieg auf, mein Lied, flieg auf! Doch fällst du einem schönen Kind zu Füßen, Das dich erröthend in den Busen steckt, Dann sprich zu ihm: "Der Frühling läßt Dich grüßen!" Bis sie mit Küssen das Papier bedeckt. Doch hascht ein Graukopf dich auf deinen Bahnen, So ein vergilbter Langohr-Recensent, Dann sprich zu ihm: "Respect vor meinen Ahnen! Mein Urtext steht im Sanskrit und im Zend!" Samstagsidyll. 1884. Original-Beitrag. Es war ein Tag, wie's ihrer viele giebt, Wenn falb der Sommer in den Herbst zerstiebt; Verstummt schon schien der Vögel buntes Völkchen Und grau am Himmel standen kleine Wölkchen. Nur ab und zu schwamm's fernher durch die Luft Noch weich wie ein verirrter Rosenduft Und wie ein Lenzlockruf, nur herbstlich stiller, Klang hie und da ein später Vogeltriller. Auf lauen Windes Flügeln kam's und schwand Und reichte wiederkehrend sich die Hand, Wie wenn zwei Herzen durch ein letztes Grüßen Sich noch des Scheidens bittres Weh versüßen. Doch also war's nur draußen fern im Hag, Durch die Fabrikstadt schlich der Werkeltag. Arno Holz. Und jetzt, wo ſchon der Abend ſeine Lichter Rothgolden über alle Dächer ſtrahlt, Krönſt du mich lächelnd nun zu deinem Dichter Und haſt mir rhythmiſch das Papier bemalt. Ich aber gebe dieſes Blatt den Winden, Die Fangball ſpielen um den Kirchthurmknauf. Und wenn’s noch heut die Straßenkehrer finden, Was kümmert’s mich? Flieg auf, mein Lied, flieg auf! Doch fällſt du einem ſchönen Kind zu Füßen, Das dich erröthend in den Buſen ſteckt, Dann ſprich zu ihm: „Der Frühling läßt Dich grüßen!“ Bis ſie mit Küſſen das Papier bedeckt. Doch haſcht ein Graukopf dich auf deinen Bahnen, So ein vergilbter Langohr-Recenſent, Dann ſprich zu ihm: „Reſpect vor meinen Ahnen! Mein Urtext ſteht im Sanskrit und im Zend!“ Samſtagsidyll. 1884. Original-Beitrag. Es war ein Tag, wie’s ihrer viele giebt, Wenn falb der Sommer in den Herbſt zerſtiebt; Verſtummt ſchon ſchien der Vögel buntes Völkchen Und grau am Himmel ſtanden kleine Wölkchen. Nur ab und zu ſchwamm’s fernher durch die Luft Noch weich wie ein verirrter Roſenduft Und wie ein Lenzlockruf, nur herbſtlich ſtiller, Klang hie und da ein ſpäter Vogeltriller. Auf lauen Windes Flügeln kam’s und ſchwand Und reichte wiederkehrend ſich die Hand, Wie wenn zwei Herzen durch ein letztes Grüßen Sich noch des Scheidens bittres Weh verſüßen. Doch alſo war’s nur draußen fern im Hag, Durch die Fabrikſtadt ſchlich der Werkeltag. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0161" n="143"/> <fw place="top" type="header">Arno Holz.</fw><lb/> <lg n="20"> <l>Und jetzt, wo ſchon der Abend ſeine Lichter</l><lb/> <l>Rothgolden über alle Dächer ſtrahlt,</l><lb/> <l>Krönſt du mich lächelnd nun zu deinem Dichter</l><lb/> <l>Und haſt mir rhythmiſch das Papier bemalt.</l><lb/> <l>Ich aber gebe dieſes Blatt den Winden,</l><lb/> <l>Die Fangball ſpielen um den Kirchthurmknauf.</l><lb/> <l>Und wenn’s noch heut die Straßenkehrer finden,</l><lb/> <l>Was kümmert’s mich? 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Arno Holz.
Und jetzt, wo ſchon der Abend ſeine Lichter
Rothgolden über alle Dächer ſtrahlt,
Krönſt du mich lächelnd nun zu deinem Dichter
Und haſt mir rhythmiſch das Papier bemalt.
Ich aber gebe dieſes Blatt den Winden,
Die Fangball ſpielen um den Kirchthurmknauf.
Und wenn’s noch heut die Straßenkehrer finden,
Was kümmert’s mich? Flieg auf, mein Lied, flieg auf!
Doch fällſt du einem ſchönen Kind zu Füßen,
Das dich erröthend in den Buſen ſteckt,
Dann ſprich zu ihm: „Der Frühling läßt Dich grüßen!“
Bis ſie mit Küſſen das Papier bedeckt.
Doch haſcht ein Graukopf dich auf deinen Bahnen,
So ein vergilbter Langohr-Recenſent,
Dann ſprich zu ihm: „Reſpect vor meinen Ahnen!
Mein Urtext ſteht im Sanskrit und im Zend!“
Samſtagsidyll.
1884.
Original-Beitrag.
Es war ein Tag, wie’s ihrer viele giebt,
Wenn falb der Sommer in den Herbſt zerſtiebt;
Verſtummt ſchon ſchien der Vögel buntes Völkchen
Und grau am Himmel ſtanden kleine Wölkchen.
Nur ab und zu ſchwamm’s fernher durch die Luft
Noch weich wie ein verirrter Roſenduft
Und wie ein Lenzlockruf, nur herbſtlich ſtiller,
Klang hie und da ein ſpäter Vogeltriller.
Auf lauen Windes Flügeln kam’s und ſchwand
Und reichte wiederkehrend ſich die Hand,
Wie wenn zwei Herzen durch ein letztes Grüßen
Sich noch des Scheidens bittres Weh verſüßen.
Doch alſo war’s nur draußen fern im Hag,
Durch die Fabrikſtadt ſchlich der Werkeltag.
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