Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].

Bild:
<< vorherige Seite
Arno Holz.
Du schwärmtest von dem neusten Ausverkauf
Ich aber schlug ein kleines Büchlein auf
Und las Dir Lieder vor von Schack und Kellen
Und übersah auch nicht den Kuchenteller.
So saßen wir -- zwei große Kinder -- da,
Bis roth der Abend durch die Scheiben sah,
Und tappten dann hinab die dunklen Stiegen,
Um noch ein Stündlein vor das Thor zu fliegen.
Dort, wo das Wasser sich am Stadtwall bricht,
Lag bunt der Park im letzten Abendlicht
Und ließ die Wipfel sich mit Purpur tränken
Und Kinder spielten auf den Rasenbänken.
Vom nahen Thorthurm kam das Spätgeläut,
Mir schien's, es klang noch nie so schön wie heut;
Wir lugten lauschend durch die Laubverhänge
Und schritten flüsternd durch die Buchengänge,
Zu Füßen knirschte uns der gelbe Kies
Und alles schien uns, wie im Paradies.
Doch als die Glocken dann gemach verklangen,
Kam leisen Schritts die Dämmrung angegangen.
Da hieltst Du still und hauchtest mir ins Ohr:
"O, weißt Du noch, dort drüben vor dem Thor?"
Ob ich es weiß! Wie Lenz will's mich umwehen;
Dort war's ja, wo wir uns zuerst gesehen!
Und hier, wo waldversteckt das Wasser rauscht,
Hier haben wir den ersten Kuß getauscht!
O Maitag, Sonnenschein und Blüthenregnen,
Noch heut muß ich euch tausendfältig segnen!
Es war doch eine schöne, schöne Zeit,
Und denk ich dran, so wird das Herz mir weit!
Man fühlt's, auch ohne daß man's gleich bedichtet:
Der liebe Gott hat's doch gut eingerichtet.
Doch still! Was braucht's schon der Erinnerung?
Wir sind ja beide noch so jung, so jung!
Es lacht das Glück aus Deinem rothem Munde:
"Uns winkt ja noch so manche goldne Stunde!"

Arno Holz.
Du ſchwärmteſt von dem neuſten Ausverkauf
Ich aber ſchlug ein kleines Büchlein auf
Und las Dir Lieder vor von Schack und Kellen
Und überſah auch nicht den Kuchenteller.
So ſaßen wir — zwei große Kinder — da,
Bis roth der Abend durch die Scheiben ſah,
Und tappten dann hinab die dunklen Stiegen,
Um noch ein Stündlein vor das Thor zu fliegen.
Dort, wo das Waſſer ſich am Stadtwall bricht,
Lag bunt der Park im letzten Abendlicht
Und ließ die Wipfel ſich mit Purpur tränken
Und Kinder ſpielten auf den Raſenbänken.
Vom nahen Thorthurm kam das Spätgeläut,
Mir ſchien’s, es klang noch nie ſo ſchön wie heut;
Wir lugten lauſchend durch die Laubverhänge
Und ſchritten flüſternd durch die Buchengänge,
Zu Füßen knirſchte uns der gelbe Kies
Und alles ſchien uns, wie im Paradies.
Doch als die Glocken dann gemach verklangen,
Kam leiſen Schritts die Dämmrung angegangen.
Da hieltſt Du ſtill und hauchteſt mir ins Ohr:
„O, weißt Du noch, dort drüben vor dem Thor?“
Ob ich es weiß! Wie Lenz will’s mich umwehen;
Dort war’s ja, wo wir uns zuerſt geſehen!
Und hier, wo waldverſteckt das Waſſer rauſcht,
Hier haben wir den erſten Kuß getauſcht!
O Maitag, Sonnenſchein und Blüthenregnen,
Noch heut muß ich euch tauſendfältig ſegnen!
Es war doch eine ſchöne, ſchöne Zeit,
Und denk ich dran, ſo wird das Herz mir weit!
Man fühlt’s, auch ohne daß man’s gleich bedichtet:
Der liebe Gott hat’s doch gut eingerichtet.
Doch ſtill! Was braucht’s ſchon der Erinnerung?
Wir ſind ja beide noch ſo jung, ſo jung!
Es lacht das Glück aus Deinem rothem Munde:
„Uns winkt ja noch ſo manche goldne Stunde!“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0164" n="146"/>
            <fw place="top" type="header">Arno Holz.</fw><lb/>
            <lg n="8">
              <l>Du &#x017F;chwärmte&#x017F;t von dem neu&#x017F;ten Ausverkauf</l><lb/>
              <l><hi rendition="#g">Ich</hi> aber &#x017F;chlug ein kleines Büchlein auf</l><lb/>
              <l>Und las Dir Lieder vor von Schack und Kellen</l><lb/>
              <l>Und über&#x017F;ah auch nicht den Kuchenteller.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="9">
              <l>So &#x017F;aßen wir &#x2014; zwei große Kinder &#x2014; da,</l><lb/>
              <l>Bis roth der Abend durch die Scheiben &#x017F;ah,</l><lb/>
              <l>Und tappten dann hinab die dunklen Stiegen,</l><lb/>
              <l>Um noch ein Stündlein vor das Thor zu fliegen.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="10">
              <l>Dort, wo das Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ich am Stadtwall bricht,</l><lb/>
              <l>Lag bunt der Park im letzten Abendlicht</l><lb/>
              <l>Und ließ die Wipfel &#x017F;ich mit Purpur tränken</l><lb/>
              <l>Und Kinder &#x017F;pielten auf den Ra&#x017F;enbänken.</l><lb/>
              <l>Vom nahen Thorthurm kam das Spätgeläut,</l><lb/>
              <l>Mir &#x017F;chien&#x2019;s, es klang noch nie &#x017F;o &#x017F;chön wie heut;</l><lb/>
              <l>Wir lugten lau&#x017F;chend durch die Laubverhänge</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;chritten flü&#x017F;ternd durch die Buchengänge,</l><lb/>
              <l>Zu Füßen knir&#x017F;chte uns der gelbe Kies</l><lb/>
              <l>Und alles &#x017F;chien uns, wie im Paradies.</l><lb/>
              <l>Doch als die Glocken dann gemach verklangen,</l><lb/>
              <l>Kam lei&#x017F;en Schritts die Dämmrung angegangen.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="11">
              <l>Da hielt&#x017F;t Du &#x017F;till und hauchte&#x017F;t mir ins Ohr:</l><lb/>
              <l>&#x201E;O, weißt Du noch, dort drüben vor dem Thor?&#x201C;</l><lb/>
              <l>Ob ich es weiß! Wie Lenz will&#x2019;s mich umwehen;</l><lb/>
              <l>Dort war&#x2019;s ja, wo wir uns <hi rendition="#g">zuer&#x017F;t</hi> ge&#x017F;ehen!</l><lb/>
              <l>Und hier, wo waldver&#x017F;teckt das Wa&#x017F;&#x017F;er rau&#x017F;cht,</l><lb/>
              <l>Hier haben wir den er&#x017F;ten Kuß getau&#x017F;cht!</l><lb/>
              <l>O Maitag, Sonnen&#x017F;chein und Blüthenregnen,</l><lb/>
              <l>Noch heut muß ich euch tau&#x017F;endfältig &#x017F;egnen!</l><lb/>
              <l>Es war doch eine &#x017F;chöne, &#x017F;chöne Zeit,</l><lb/>
              <l>Und denk ich dran, &#x017F;o wird das Herz mir weit!</l><lb/>
              <l>Man fühlt&#x2019;s, auch ohne daß man&#x2019;s gleich bedichtet:</l><lb/>
              <l>Der liebe Gott hat&#x2019;s doch gut eingerichtet.</l><lb/>
              <l>Doch &#x017F;till! Was braucht&#x2019;s &#x017F;chon der Erinnerung?</l><lb/>
              <l>Wir &#x017F;ind ja beide noch &#x017F;o jung, &#x017F;o jung!</l><lb/>
              <l>Es lacht das Glück aus Deinem rothem Munde:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Uns winkt ja noch &#x017F;o manche goldne Stunde!&#x201C;</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0164] Arno Holz. Du ſchwärmteſt von dem neuſten Ausverkauf Ich aber ſchlug ein kleines Büchlein auf Und las Dir Lieder vor von Schack und Kellen Und überſah auch nicht den Kuchenteller. So ſaßen wir — zwei große Kinder — da, Bis roth der Abend durch die Scheiben ſah, Und tappten dann hinab die dunklen Stiegen, Um noch ein Stündlein vor das Thor zu fliegen. Dort, wo das Waſſer ſich am Stadtwall bricht, Lag bunt der Park im letzten Abendlicht Und ließ die Wipfel ſich mit Purpur tränken Und Kinder ſpielten auf den Raſenbänken. Vom nahen Thorthurm kam das Spätgeläut, Mir ſchien’s, es klang noch nie ſo ſchön wie heut; Wir lugten lauſchend durch die Laubverhänge Und ſchritten flüſternd durch die Buchengänge, Zu Füßen knirſchte uns der gelbe Kies Und alles ſchien uns, wie im Paradies. Doch als die Glocken dann gemach verklangen, Kam leiſen Schritts die Dämmrung angegangen. Da hieltſt Du ſtill und hauchteſt mir ins Ohr: „O, weißt Du noch, dort drüben vor dem Thor?“ Ob ich es weiß! Wie Lenz will’s mich umwehen; Dort war’s ja, wo wir uns zuerſt geſehen! Und hier, wo waldverſteckt das Waſſer rauſcht, Hier haben wir den erſten Kuß getauſcht! O Maitag, Sonnenſchein und Blüthenregnen, Noch heut muß ich euch tauſendfältig ſegnen! Es war doch eine ſchöne, ſchöne Zeit, Und denk ich dran, ſo wird das Herz mir weit! Man fühlt’s, auch ohne daß man’s gleich bedichtet: Der liebe Gott hat’s doch gut eingerichtet. Doch ſtill! Was braucht’s ſchon der Erinnerung? Wir ſind ja beide noch ſo jung, ſo jung! Es lacht das Glück aus Deinem rothem Munde: „Uns winkt ja noch ſo manche goldne Stunde!“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/164
Zitationshilfe: Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/164>, abgerufen am 24.11.2024.