Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Arno Holz. Auch lief ich, Katzengold zu suchen, Oft tagelang im Wald umher Und schwärmte unter hohen Buchen Von einstger Nimmerwiederkehr. Betäubend dufteten die Kressen, Grüngolden floß das Licht herein -- Es war ein seeliges Vergessen, Vergessen und Vergessensein. Der Lenzwind ließ die Aeste knarren, Vom Dorf herüber klang die Uhr, Ich lag begraben unter Farren Und stammelte: "Natur! Natur! In alten Büchern steht geschrieben, Du bist ein Weib, ein schönes Weib; Ich bin ein Mensch und muß Dich lieben, Denn diese Erde ist Dein Leib! Weh jenem bleichen Nazarener! Er stieß Dich kalt von Deinem Thron! Ich aber bin so gut wie Jener Der Gottheit eingeborner Sohn! Ich will nicht mönchisch Dich zergeißeln -- Her, Deinen Freudenthränenwein? Ich will Dein Bild in Feuer meißeln Und Vollmensch wie ein Grieche sein! Doch Du, um die in ew'gem Schwunge Die Welt sich dreht, o Poesie, O lege Gold auf meine Zunge Und in mein Herz gieß Melodie! In ew'ge Lieder laß mich weben, Wie Du das Herz mir süß erhellt, Und wie so köstlich doch dies Leben Und wie so wunderschön die Welt! Arno Holz. Auch lief ich, Katzengold zu ſuchen, Oft tagelang im Wald umher Und ſchwärmte unter hohen Buchen Von einſtger Nimmerwiederkehr. Betäubend dufteten die Kreſſen, Grüngolden floß das Licht herein — Es war ein ſeeliges Vergeſſen, Vergeſſen und Vergeſſenſein. Der Lenzwind ließ die Aeſte knarren, Vom Dorf herüber klang die Uhr, Ich lag begraben unter Farren Und ſtammelte: „Natur! Natur! In alten Büchern ſteht geſchrieben, Du biſt ein Weib, ein ſchönes Weib; Ich bin ein Menſch und muß Dich lieben, Denn dieſe Erde iſt Dein Leib! Weh jenem bleichen Nazarener! Er ſtieß Dich kalt von Deinem Thron! Ich aber bin ſo gut wie Jener Der Gottheit eingeborner Sohn! Ich will nicht mönchiſch Dich zergeißeln — Her, Deinen Freudenthränenwein? Ich will Dein Bild in Feuer meißeln Und Vollmenſch wie ein Grieche ſein! Doch Du, um die in ew’gem Schwunge Die Welt ſich dreht, o Poeſie, O lege Gold auf meine Zunge Und in mein Herz gieß Melodie! In ew’ge Lieder laß mich weben, Wie Du das Herz mir ſüß erhellt, Und wie ſo köſtlich doch dies Leben Und wie ſo wunderſchön die Welt! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0169" n="151"/> <fw place="top" type="header">Arno Holz.</fw><lb/> <lg n="3"> <l>Auch lief ich, Katzengold zu ſuchen,</l><lb/> <l>Oft tagelang im Wald umher</l><lb/> <l>Und ſchwärmte unter hohen Buchen</l><lb/> <l>Von einſtger Nimmerwiederkehr.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Betäubend dufteten die Kreſſen,</l><lb/> <l>Grüngolden floß das Licht herein —</l><lb/> <l>Es war ein ſeeliges Vergeſſen,</l><lb/> <l>Vergeſſen und Vergeſſenſein.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Der Lenzwind ließ die Aeſte knarren,</l><lb/> <l>Vom Dorf herüber klang die Uhr,</l><lb/> <l>Ich lag begraben unter Farren</l><lb/> <l>Und ſtammelte: „Natur! Natur!</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>In alten Büchern ſteht geſchrieben,</l><lb/> <l>Du biſt ein Weib, ein ſchönes Weib;</l><lb/> <l>Ich bin ein Menſch und muß Dich lieben,</l><lb/> <l>Denn dieſe Erde iſt Dein Leib!</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Weh jenem bleichen Nazarener!</l><lb/> <l>Er ſtieß Dich kalt von Deinem Thron!</l><lb/> <l>Ich aber bin ſo gut wie Jener</l><lb/> <l>Der Gottheit eingeborner Sohn!</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Ich will nicht mönchiſch Dich zergeißeln —</l><lb/> <l>Her, Deinen Freudenthränenwein?</l><lb/> <l>Ich will Dein Bild in Feuer meißeln</l><lb/> <l>Und Vollmenſch wie ein Grieche ſein!</l> </lg><lb/> <lg n="9"> <l>Doch Du, um die in ew’gem Schwunge</l><lb/> <l>Die Welt ſich dreht, o Poeſie,</l><lb/> <l>O lege Gold auf meine Zunge</l><lb/> <l>Und in mein Herz gieß Melodie!</l> </lg><lb/> <lg n="10"> <l>In ew’ge Lieder laß mich weben,</l><lb/> <l>Wie Du das Herz mir ſüß erhellt,</l><lb/> <l>Und wie ſo köſtlich doch dies Leben</l><lb/> <l>Und wie ſo wunderſchön die Welt!</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [151/0169]
Arno Holz.
Auch lief ich, Katzengold zu ſuchen,
Oft tagelang im Wald umher
Und ſchwärmte unter hohen Buchen
Von einſtger Nimmerwiederkehr.
Betäubend dufteten die Kreſſen,
Grüngolden floß das Licht herein —
Es war ein ſeeliges Vergeſſen,
Vergeſſen und Vergeſſenſein.
Der Lenzwind ließ die Aeſte knarren,
Vom Dorf herüber klang die Uhr,
Ich lag begraben unter Farren
Und ſtammelte: „Natur! Natur!
In alten Büchern ſteht geſchrieben,
Du biſt ein Weib, ein ſchönes Weib;
Ich bin ein Menſch und muß Dich lieben,
Denn dieſe Erde iſt Dein Leib!
Weh jenem bleichen Nazarener!
Er ſtieß Dich kalt von Deinem Thron!
Ich aber bin ſo gut wie Jener
Der Gottheit eingeborner Sohn!
Ich will nicht mönchiſch Dich zergeißeln —
Her, Deinen Freudenthränenwein?
Ich will Dein Bild in Feuer meißeln
Und Vollmenſch wie ein Grieche ſein!
Doch Du, um die in ew’gem Schwunge
Die Welt ſich dreht, o Poeſie,
O lege Gold auf meine Zunge
Und in mein Herz gieß Melodie!
In ew’ge Lieder laß mich weben,
Wie Du das Herz mir ſüß erhellt,
Und wie ſo köſtlich doch dies Leben
Und wie ſo wunderſchön die Welt!
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