Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Heinrich Hart. Und immer wirrer, immer dichter drängen Die Schaaren sich, mit flammenden Gesängen Um Zion wogt des Kreuzheers magrer Rest, Scharfklauig kreist zu Häupten ihm die Pest, Hier stirbt der Könige stolzer Uebermuth, Vom Richtbeil ausgemerzt, erstickt in Blut, Dort siech von Hunger, eisumschauert steht Franklin, sein Aug' nur spricht ein letzt Gebet Und donnernden Fluges dort von Land zu Land Rollt Zug an Zug, ein stählern Völkerband, Hier Hochzeitsjubel, fiebernd Aengsten dort, Hier klingender Flöten Laut, dort Brudermord. Mein Auge sieht es und es hört mein Ohr, Der Menschheit ganzes Treiben rauscht empor, Der Völker Werden gibt ein Blick mir kund, Doch Schmerz durchwühlt mich, laut schreit auf mein Mund: Weh euch und mir, Mensch werden heißt vergehn Und Völker blühen, um in Staub zu wehn, Wir alle sind wie Wasser im Gestein, Kein Wandrer kommt, die Erde saugt uns ein, Wir alle sind wie Saat in dornig Land, Wir alle schaffen, doch uns knüpft kein Band! Kein Band -- und wiederhallt es tausendmal Und wieder braust der Sturmwind hin durchs Thal, Da steigt vor mir empor Haupt und Gestalt, Doch nicht von Glut, von Sternenschein umwallt, Mild wird die Stirn und mild des Auges Glanz, Beschattet von der Wimpern breitem Kranz, Der Lippen erzne Klammer schließt sich auf, Ein weicher Mantel zieht Gewölk herauf. Ich aber beide Hände streck' ich aus Und zu mir klingts wie rollend Fluthgebraus: Kleinmüthger Du, Du klagst und übst Gericht Und kennst nur Menschen, doch die Menschheit nicht. Die Menschen sind wie Blumen auf dem Rain, Ich winde sie dem Kranz der Menschheit ein, Der Menschen Thun spinnt Fäden wirr und kraus, Ich webe sie zum Bild der Menschheit aus, Der Menschen Herz freut sich an Schein und Spiel, Ich halt' das Steuer auf der Menschheit Ziel. Heinrich Hart. Und immer wirrer, immer dichter drängen Die Schaaren ſich, mit flammenden Geſängen Um Zion wogt des Kreuzheers magrer Reſt, Scharfklauig kreiſt zu Häupten ihm die Peſt, Hier ſtirbt der Könige ſtolzer Uebermuth, Vom Richtbeil ausgemerzt, erſtickt in Blut, Dort ſiech von Hunger, eisumſchauert ſteht Franklin, ſein Aug’ nur ſpricht ein letzt Gebet Und donnernden Fluges dort von Land zu Land Rollt Zug an Zug, ein ſtählern Völkerband, Hier Hochzeitsjubel, fiebernd Aengſten dort, Hier klingender Flöten Laut, dort Brudermord. Mein Auge ſieht es und es hört mein Ohr, Der Menſchheit ganzes Treiben rauſcht empor, Der Völker Werden gibt ein Blick mir kund, Doch Schmerz durchwühlt mich, laut ſchreit auf mein Mund: Weh euch und mir, Menſch werden heißt vergehn Und Völker blühen, um in Staub zu wehn, Wir alle ſind wie Waſſer im Geſtein, Kein Wandrer kommt, die Erde ſaugt uns ein, Wir alle ſind wie Saat in dornig Land, Wir alle ſchaffen, doch uns knüpft kein Band! Kein Band — und wiederhallt es tauſendmal Und wieder brauſt der Sturmwind hin durchs Thal, Da ſteigt vor mir empor Haupt und Geſtalt, Doch nicht von Glut, von Sternenſchein umwallt, Mild wird die Stirn und mild des Auges Glanz, Beſchattet von der Wimpern breitem Kranz, Der Lippen erzne Klammer ſchließt ſich auf, Ein weicher Mantel zieht Gewölk herauf. Ich aber beide Hände ſtreck’ ich aus Und zu mir klingts wie rollend Fluthgebraus: Kleinmüthger Du, Du klagſt und übſt Gericht Und kennſt nur Menſchen, doch die Menſchheit nicht. Die Menſchen ſind wie Blumen auf dem Rain, Ich winde ſie dem Kranz der Menſchheit ein, Der Menſchen Thun ſpinnt Fäden wirr und kraus, Ich webe ſie zum Bild der Menſchheit aus, Der Menſchen Herz freut ſich an Schein und Spiel, Ich halt’ das Steuer auf der Menſchheit Ziel. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="4"> <pb facs="#f0193" n="175"/> <fw place="top" type="header">Heinrich Hart.</fw><lb/> <l>Und immer wirrer, immer dichter drängen</l><lb/> <l>Die Schaaren ſich, mit flammenden Geſängen</l><lb/> <l>Um Zion wogt des Kreuzheers magrer Reſt,</l><lb/> <l>Scharfklauig kreiſt zu Häupten ihm die Peſt,</l><lb/> <l>Hier ſtirbt der Könige ſtolzer Uebermuth,</l><lb/> <l>Vom Richtbeil ausgemerzt, erſtickt in Blut,</l><lb/> <l>Dort ſiech von Hunger, eisumſchauert ſteht</l><lb/> <l>Franklin, ſein Aug’ nur ſpricht ein letzt Gebet</l><lb/> <l>Und donnernden Fluges dort von Land zu Land</l><lb/> <l>Rollt Zug an Zug, ein ſtählern Völkerband,</l><lb/> <l>Hier Hochzeitsjubel, fiebernd Aengſten dort,</l><lb/> <l>Hier klingender Flöten Laut, dort Brudermord.</l><lb/> <l>Mein Auge ſieht es und es hört mein Ohr,</l><lb/> <l>Der Menſchheit ganzes Treiben rauſcht empor,</l><lb/> <l>Der Völker Werden gibt ein Blick mir kund,</l><lb/> <l>Doch Schmerz durchwühlt mich, laut ſchreit auf mein Mund:</l><lb/> <l>Weh euch und mir, Menſch werden heißt vergehn</l><lb/> <l>Und Völker blühen, um in Staub zu wehn,</l><lb/> <l>Wir alle ſind wie Waſſer im Geſtein,</l><lb/> <l>Kein Wandrer kommt, die Erde ſaugt uns ein,</l><lb/> <l>Wir alle ſind wie Saat in dornig Land,</l><lb/> <l>Wir alle ſchaffen, doch uns knüpft kein Band!</l><lb/> <l>Kein Band — und wiederhallt es tauſendmal</l><lb/> <l>Und wieder brauſt der Sturmwind hin durchs Thal,</l><lb/> <l>Da ſteigt vor mir empor Haupt und Geſtalt,</l><lb/> <l>Doch nicht von Glut, von Sternenſchein umwallt,</l><lb/> <l>Mild wird die Stirn und mild des Auges Glanz,</l><lb/> <l>Beſchattet von der Wimpern breitem Kranz,</l><lb/> <l>Der Lippen erzne Klammer ſchließt ſich auf,</l><lb/> <l>Ein weicher Mantel zieht Gewölk herauf.</l><lb/> <l>Ich aber beide Hände ſtreck’ ich aus</l><lb/> <l>Und zu mir klingts wie rollend Fluthgebraus:</l><lb/> <l>Kleinmüthger Du, Du klagſt und übſt Gericht</l><lb/> <l>Und kennſt nur Menſchen, doch die Menſchheit nicht.</l><lb/> <l>Die Menſchen ſind wie Blumen auf dem Rain,</l><lb/> <l>Ich winde ſie dem Kranz der Menſchheit ein,</l><lb/> <l>Der Menſchen Thun ſpinnt Fäden wirr und kraus,</l><lb/> <l>Ich webe ſie zum Bild der Menſchheit aus,</l><lb/> <l>Der Menſchen Herz freut ſich an Schein und Spiel,</l><lb/> <l>Ich halt’ das Steuer auf der Menſchheit Ziel.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [175/0193]
Heinrich Hart.
Und immer wirrer, immer dichter drängen
Die Schaaren ſich, mit flammenden Geſängen
Um Zion wogt des Kreuzheers magrer Reſt,
Scharfklauig kreiſt zu Häupten ihm die Peſt,
Hier ſtirbt der Könige ſtolzer Uebermuth,
Vom Richtbeil ausgemerzt, erſtickt in Blut,
Dort ſiech von Hunger, eisumſchauert ſteht
Franklin, ſein Aug’ nur ſpricht ein letzt Gebet
Und donnernden Fluges dort von Land zu Land
Rollt Zug an Zug, ein ſtählern Völkerband,
Hier Hochzeitsjubel, fiebernd Aengſten dort,
Hier klingender Flöten Laut, dort Brudermord.
Mein Auge ſieht es und es hört mein Ohr,
Der Menſchheit ganzes Treiben rauſcht empor,
Der Völker Werden gibt ein Blick mir kund,
Doch Schmerz durchwühlt mich, laut ſchreit auf mein Mund:
Weh euch und mir, Menſch werden heißt vergehn
Und Völker blühen, um in Staub zu wehn,
Wir alle ſind wie Waſſer im Geſtein,
Kein Wandrer kommt, die Erde ſaugt uns ein,
Wir alle ſind wie Saat in dornig Land,
Wir alle ſchaffen, doch uns knüpft kein Band!
Kein Band — und wiederhallt es tauſendmal
Und wieder brauſt der Sturmwind hin durchs Thal,
Da ſteigt vor mir empor Haupt und Geſtalt,
Doch nicht von Glut, von Sternenſchein umwallt,
Mild wird die Stirn und mild des Auges Glanz,
Beſchattet von der Wimpern breitem Kranz,
Der Lippen erzne Klammer ſchließt ſich auf,
Ein weicher Mantel zieht Gewölk herauf.
Ich aber beide Hände ſtreck’ ich aus
Und zu mir klingts wie rollend Fluthgebraus:
Kleinmüthger Du, Du klagſt und übſt Gericht
Und kennſt nur Menſchen, doch die Menſchheit nicht.
Die Menſchen ſind wie Blumen auf dem Rain,
Ich winde ſie dem Kranz der Menſchheit ein,
Der Menſchen Thun ſpinnt Fäden wirr und kraus,
Ich webe ſie zum Bild der Menſchheit aus,
Der Menſchen Herz freut ſich an Schein und Spiel,
Ich halt’ das Steuer auf der Menſchheit Ziel.
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