Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Georg Gradnauer. Messiaspsalmen. Originalbeitrag. I. Willkommen, heilige Strahlampel des Himmels, Die du emporziehst über der Berge erglitzernden Saum, Sei mir gegrüßt! Nun gießest du nieder In die Wiege der dir zujauchzenden Thäler Deines Lichtes allmächtige Vollfluth. Nun umlächelst du, trauteste Mutter All deine Kinder auf der Erde tiefgründiger Breitung, Alljedes Buschwerk, jeglichen Baum, Der sehnsuchtsheiß dir seine Gezweige emporstreckt; Und aus des Kelches kunstreichem Pokale Lockst du die prangende Blüthe hervor Und mit der Früchte gesegneter Schenkung Krönst du der Blüthe farbige Pracht. -- Aber doch lieber und vielmalig schöner Scheint mir die Sonne, die jetzo mir in der Seele erwacht! Endlich, endlich steiget sie hoch Und zersetzt mit siegessichrer Gewalt Das hartnäckig sich sträubende, finster sich bäumende, Dunkelheitsnächtige Wettergewölk, Das auch in mir so lange gehauset, Auch meine Seele mit taglichtscheuem Gespinnst umsponnen. Denn gänzlich nun hab' ich den Rücken gekehret Dem nachtumschatteten Gießbach des Lebens Und fernab den niedrig gischtenden Wogen, Mit denen auch ich ehedem bin getrieben, 14*
Georg Gradnauer. Meſſiaspſalmen. Originalbeitrag. I. Willkommen, heilige Strahlampel des Himmels, Die du emporziehſt über der Berge erglitzernden Saum, Sei mir gegrüßt! Nun gießeſt du nieder In die Wiege der dir zujauchzenden Thäler Deines Lichtes allmächtige Vollfluth. Nun umlächelſt du, trauteſte Mutter All deine Kinder auf der Erde tiefgründiger Breitung, Alljedes Buſchwerk, jeglichen Baum, Der ſehnſuchtsheiß dir ſeine Gezweige emporſtreckt; Und aus des Kelches kunſtreichem Pokale Lockſt du die prangende Blüthe hervor Und mit der Früchte geſegneter Schenkung Krönſt du der Blüthe farbige Pracht. — Aber doch lieber und vielmalig ſchöner Scheint mir die Sonne, die jetzo mir in der Seele erwacht! Endlich, endlich ſteiget ſie hoch Und zerſetzt mit ſiegesſichrer Gewalt Das hartnäckig ſich ſträubende, finſter ſich bäumende, Dunkelheitsnächtige Wettergewölk, Das auch in mir ſo lange gehauſet, Auch meine Seele mit taglichtſcheuem Geſpinnſt umſponnen. Denn gänzlich nun hab’ ich den Rücken gekehret Dem nachtumſchatteten Gießbach des Lebens Und fernab den niedrig giſchtenden Wogen, Mit denen auch ich ehedem bin getrieben, 14*
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Georg Gradnauer.
Meſſiaspſalmen.
Originalbeitrag.
I.
Willkommen, heilige Strahlampel des Himmels,
Die du emporziehſt über der Berge erglitzernden Saum,
Sei mir gegrüßt! Nun gießeſt du nieder
In die Wiege der dir zujauchzenden Thäler
Deines Lichtes allmächtige Vollfluth.
Nun umlächelſt du, trauteſte Mutter
All deine Kinder auf der Erde tiefgründiger Breitung,
Alljedes Buſchwerk, jeglichen Baum,
Der ſehnſuchtsheiß dir ſeine Gezweige emporſtreckt;
Und aus des Kelches kunſtreichem Pokale
Lockſt du die prangende Blüthe hervor
Und mit der Früchte geſegneter Schenkung
Krönſt du der Blüthe farbige Pracht. —
Aber doch lieber und vielmalig ſchöner
Scheint mir die Sonne, die jetzo mir in der Seele erwacht!
Endlich, endlich ſteiget ſie hoch
Und zerſetzt mit ſiegesſichrer Gewalt
Das hartnäckig ſich ſträubende, finſter ſich bäumende,
Dunkelheitsnächtige Wettergewölk,
Das auch in mir ſo lange gehauſet,
Auch meine Seele mit taglichtſcheuem Geſpinnſt umſponnen.
Denn gänzlich nun hab’ ich den Rücken gekehret
Dem nachtumſchatteten Gießbach des Lebens
Und fernab den niedrig giſchtenden Wogen,
Mit denen auch ich ehedem bin getrieben,
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