Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Ernst von Wildenbruch. Und er hob empor den Becher, "nimmer, sprach er, nimmerdar ziehen fürder Opfer spendend Trojas Knaben zum Altar, Nimmer bringen Trojas Mädchen Weines süße Labe mir -- diesen Becher, diesen letzten Ilion, du geliebtes, dir!" -- In des Göttervaters Auge flammend eine Thräne hing, tiefes Schauern, heil'ges Beben durch die Schaar der Götter ging, Tiefes Schauern, heil'ges Beben durch die Lande weit und breit, schweigend neigte sich die Erde vor dem großen Götterleid. -- Und es floß die heil'ge Thräne langsam rollend erdenwärts, unaufhaltsam, bis sie ruhte zitternd in Homeros' Herz. -- Tief im Schlummer lag Homeros, da ergriff's ihn bang und schwer, und er träumt' er trüg' im Busen das allmächt'ge Welten-Meer, Und er träumt', in seinem Busen küßten Sonne sich und Mond -- stürmend trieb es ihn vom Lager und vom Haus, da er gewohnt -- Wahnsinn flog um seine Schläfen, auf sein Auge sank die Nacht, doch im Herzen glüht' und sprüht' ihm unermeß'ne Weltenpracht. Da entströmte seinen Lippen tiefer, wonnevoller Klang -- und es war das Lied von Ilion, das Homer den Völkern sang. Ueber Länder, über Meere zog der feierliche Ton, lauschend neigte sich die Erde vor dem großen Erden-Sohn. Ernſt von Wildenbruch. Und er hob empor den Becher, „nimmer, ſprach er, nimmerdar ziehen fürder Opfer ſpendend Trojas Knaben zum Altar, Nimmer bringen Trojas Mädchen Weines ſüße Labe mir — dieſen Becher, dieſen letzten Ilion, du geliebtes, dir!“ — In des Göttervaters Auge flammend eine Thräne hing, tiefes Schauern, heil’ges Beben durch die Schaar der Götter ging, Tiefes Schauern, heil’ges Beben durch die Lande weit und breit, ſchweigend neigte ſich die Erde vor dem großen Götterleid. — Und es floß die heil’ge Thräne langſam rollend erdenwärts, unaufhaltſam, bis ſie ruhte zitternd in Homeros’ Herz. — Tief im Schlummer lag Homeros, da ergriff’s ihn bang und ſchwer, und er träumt’ er trüg’ im Buſen das allmächt’ge Welten-Meer, Und er träumt’, in ſeinem Buſen küßten Sonne ſich und Mond — ſtürmend trieb es ihn vom Lager und vom Haus, da er gewohnt — Wahnſinn flog um ſeine Schläfen, auf ſein Auge ſank die Nacht, doch im Herzen glüht’ und ſprüht’ ihm unermeß’ne Weltenpracht. Da entſtrömte ſeinen Lippen tiefer, wonnevoller Klang — und es war das Lied von Ilion, das Homer den Völkern ſang. Ueber Länder, über Meere zog der feierliche Ton, lauſchend neigte ſich die Erde vor dem großen Erden-Sohn. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="1"> <pb facs="#f0262" n="244"/> <fw place="top" type="header">Ernſt von Wildenbruch.</fw><lb/> <l>Und er hob empor den Becher,</l><lb/> <l>„nimmer, ſprach er, nimmerdar</l><lb/> <l>ziehen fürder Opfer ſpendend</l><lb/> <l>Trojas Knaben zum Altar,</l><lb/> <l>Nimmer bringen Trojas Mädchen</l><lb/> <l>Weines ſüße Labe mir —</l><lb/> <l>dieſen Becher, dieſen letzten</l><lb/> <l>Ilion, du geliebtes, dir!“ —</l><lb/> <l>In des Göttervaters Auge</l><lb/> <l>flammend eine Thräne hing,</l><lb/> <l>tiefes Schauern, heil’ges Beben</l><lb/> <l>durch die Schaar der Götter ging,</l><lb/> <l>Tiefes Schauern, heil’ges Beben</l><lb/> <l>durch die Lande weit und breit,</l><lb/> <l>ſchweigend neigte ſich die Erde</l><lb/> <l>vor dem großen Götterleid. —</l><lb/> <l>Und es floß die heil’ge Thräne</l><lb/> <l>langſam rollend erdenwärts,</l><lb/> <l>unaufhaltſam, bis ſie ruhte</l><lb/> <l>zitternd in Homeros’ Herz. —</l><lb/> <l>Tief im Schlummer lag Homeros,</l><lb/> <l>da ergriff’s ihn bang und ſchwer,</l><lb/> <l>und er träumt’ er trüg’ im Buſen</l><lb/> <l>das allmächt’ge Welten-Meer,</l><lb/> <l>Und er träumt’, in ſeinem Buſen</l><lb/> <l>küßten Sonne ſich und Mond —</l><lb/> <l>ſtürmend trieb es ihn vom Lager</l><lb/> <l>und vom Haus, da er gewohnt —</l><lb/> <l>Wahnſinn flog um ſeine Schläfen,</l><lb/> <l>auf ſein Auge ſank die Nacht,</l><lb/> <l>doch im Herzen glüht’ und ſprüht’ ihm</l><lb/> <l>unermeß’ne Weltenpracht.</l><lb/> <l>Da entſtrömte ſeinen Lippen</l><lb/> <l>tiefer, wonnevoller Klang —</l><lb/> <l>und es war das Lied von Ilion,</l><lb/> <l>das Homer den Völkern ſang.</l><lb/> <l>Ueber Länder, über Meere</l><lb/> <l>zog der feierliche Ton,</l><lb/> <l>lauſchend neigte ſich die Erde</l><lb/> <l>vor dem großen Erden-Sohn.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [244/0262]
Ernſt von Wildenbruch.
Und er hob empor den Becher,
„nimmer, ſprach er, nimmerdar
ziehen fürder Opfer ſpendend
Trojas Knaben zum Altar,
Nimmer bringen Trojas Mädchen
Weines ſüße Labe mir —
dieſen Becher, dieſen letzten
Ilion, du geliebtes, dir!“ —
In des Göttervaters Auge
flammend eine Thräne hing,
tiefes Schauern, heil’ges Beben
durch die Schaar der Götter ging,
Tiefes Schauern, heil’ges Beben
durch die Lande weit und breit,
ſchweigend neigte ſich die Erde
vor dem großen Götterleid. —
Und es floß die heil’ge Thräne
langſam rollend erdenwärts,
unaufhaltſam, bis ſie ruhte
zitternd in Homeros’ Herz. —
Tief im Schlummer lag Homeros,
da ergriff’s ihn bang und ſchwer,
und er träumt’ er trüg’ im Buſen
das allmächt’ge Welten-Meer,
Und er träumt’, in ſeinem Buſen
küßten Sonne ſich und Mond —
ſtürmend trieb es ihn vom Lager
und vom Haus, da er gewohnt —
Wahnſinn flog um ſeine Schläfen,
auf ſein Auge ſank die Nacht,
doch im Herzen glüht’ und ſprüht’ ihm
unermeß’ne Weltenpracht.
Da entſtrömte ſeinen Lippen
tiefer, wonnevoller Klang —
und es war das Lied von Ilion,
das Homer den Völkern ſang.
Ueber Länder, über Meere
zog der feierliche Ton,
lauſchend neigte ſich die Erde
vor dem großen Erden-Sohn.
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