Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Ernst von Wildenbruch. Wie taumelnde Vögel, verflattert im Meer, So glitten voll Angst ihre Augen umher; Da trat ich heran mit dem Kruzifix, Ihr Auge erfaßte mich suchenden Blicks, Und siehe, und siehe, verstohlener Weise Da neigte ihr Haupt sie, da nickte sie leise, Und ein Lächeln erstand in dem süßen Gesicht, Wie der scheidenden Sonne verlöschendes Licht. -- Die loderne Fackel der Henker schwang, Ihr lechzendes Aug' in mein Auge sich trank, Die Flamme griff in das dürre Geäst, Ihre starrenden Augen hielten mich fest, Die Funken stoben wie prasselnder Staub, Ihre Lippen erbebten, wie sinkendes Laub, Und plötzlich, und plötzlich vernahm ich ein Klingen, Vom brennenden Holzstoß begann sie zu singen, Wie Frühlingsregen, durchrauschend die Nacht, So ergriff mich des Liedes süß-selige Macht; Mir war's, als trüge herüber die Luft Fremdländischer Blumen bestrickenden Duft, Als spräch' eine Stimme zu meinen Ohren Vom seligem Glück, das für ewig verloren. Die Flamme ergriff ihren nackten Fuß, Sie neigte sich scheidend, zum letzten Gruß, Der schwarze Rauch sie wirbelnd umschwoll, Ihr klagender Sang aus dem Rauche scholl, Dumpf brausend die Flamme zum Himmel sprang, Wie zitternde Glocken ertönt' ihr Gesang -- Die Ohren bedeckt' ich mit meinen Händen, ,Das Singen, das Singen, wann wird es enden?' Ich wandte mich schaudernd, ich floh von dem Ort -- Die klagende Stimme zog mit mir fort, Wohin ich entfloh, wohin ich entwich, Der Gesang, der Gesang, er begleitete mich. Ob ich schlummernd lag, ob ich betend gewacht, Zu jeglicher Stunde, bei Tage und Nacht, Seit jenem Tage die fünfzig Jahr', Ich höre ihn immer und immerdar!' -- Medardus fuhr auf, wild war sein Gesicht, ,Ich höre sie wieder -- vernimmst Du es nicht? Ernſt von Wildenbruch. Wie taumelnde Vögel, verflattert im Meer, So glitten voll Angſt ihre Augen umher; Da trat ich heran mit dem Kruzifix, Ihr Auge erfaßte mich ſuchenden Blicks, Und ſiehe, und ſiehe, verſtohlener Weiſe Da neigte ihr Haupt ſie, da nickte ſie leiſe, Und ein Lächeln erſtand in dem ſüßen Geſicht, Wie der ſcheidenden Sonne verlöſchendes Licht. — Die loderne Fackel der Henker ſchwang, Ihr lechzendes Aug’ in mein Auge ſich trank, Die Flamme griff in das dürre Geäſt, Ihre ſtarrenden Augen hielten mich feſt, Die Funken ſtoben wie praſſelnder Staub, Ihre Lippen erbebten, wie ſinkendes Laub, Und plötzlich, und plötzlich vernahm ich ein Klingen, Vom brennenden Holzſtoß begann ſie zu ſingen, Wie Frühlingsregen, durchrauſchend die Nacht, So ergriff mich des Liedes ſüß-ſelige Macht; Mir war’s, als trüge herüber die Luft Fremdländiſcher Blumen beſtrickenden Duft, Als ſpräch’ eine Stimme zu meinen Ohren Vom ſeligem Glück, das für ewig verloren. Die Flamme ergriff ihren nackten Fuß, Sie neigte ſich ſcheidend, zum letzten Gruß, Der ſchwarze Rauch ſie wirbelnd umſchwoll, Ihr klagender Sang aus dem Rauche ſcholl, Dumpf brauſend die Flamme zum Himmel ſprang, Wie zitternde Glocken ertönt’ ihr Geſang — Die Ohren bedeckt’ ich mit meinen Händen, ‚Das Singen, das Singen, wann wird es enden?‘ Ich wandte mich ſchaudernd, ich floh von dem Ort — Die klagende Stimme zog mit mir fort, Wohin ich entfloh, wohin ich entwich, Der Geſang, der Geſang, er begleitete mich. Ob ich ſchlummernd lag, ob ich betend gewacht, Zu jeglicher Stunde, bei Tage und Nacht, Seit jenem Tage die fünfzig Jahr’, Ich höre ihn immer und immerdar!‘ — Medardus fuhr auf, wild war ſein Geſicht, ‚Ich höre ſie wieder — vernimmſt Du es nicht? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="1"> <pb facs="#f0270" n="252"/> <fw place="top" type="header">Ernſt von Wildenbruch.</fw><lb/> <l>Wie taumelnde Vögel, verflattert im Meer,</l><lb/> <l>So glitten voll Angſt ihre Augen umher;</l><lb/> <l>Da trat ich heran mit dem Kruzifix,</l><lb/> <l>Ihr <choice><sic>Ange</sic><corr>Auge</corr></choice> erfaßte mich ſuchenden Blicks,</l><lb/> <l>Und ſiehe, und ſiehe, verſtohlener Weiſe</l><lb/> <l>Da neigte ihr Haupt ſie, da nickte ſie leiſe,</l><lb/> <l>Und ein Lächeln erſtand in dem ſüßen Geſicht,</l><lb/> <l>Wie der ſcheidenden Sonne verlöſchendes Licht. —</l><lb/> <l>Die loderne Fackel der Henker ſchwang,</l><lb/> <l>Ihr lechzendes Aug’ in mein Auge ſich trank,</l><lb/> <l>Die Flamme griff in das dürre Geäſt,</l><lb/> <l>Ihre ſtarrenden Augen hielten mich feſt,</l><lb/> <l>Die Funken ſtoben wie praſſelnder Staub,</l><lb/> <l>Ihre Lippen erbebten, wie ſinkendes Laub,</l><lb/> <l>Und plötzlich, und plötzlich vernahm ich ein Klingen,</l><lb/> <l>Vom brennenden Holzſtoß begann ſie zu ſingen,</l><lb/> <l>Wie Frühlingsregen, durchrauſchend die Nacht,</l><lb/> <l>So ergriff mich des Liedes ſüß-ſelige Macht;</l><lb/> <l>Mir war’s, als trüge herüber die Luft</l><lb/> <l>Fremdländiſcher Blumen beſtrickenden Duft,</l><lb/> <l>Als ſpräch’ eine Stimme zu meinen Ohren</l><lb/> <l>Vom ſeligem Glück, das für ewig verloren.</l><lb/> <l>Die Flamme ergriff ihren nackten Fuß,</l><lb/> <l>Sie neigte ſich ſcheidend, zum letzten Gruß,</l><lb/> <l>Der ſchwarze Rauch ſie wirbelnd umſchwoll,</l><lb/> <l>Ihr klagender Sang aus dem Rauche ſcholl,</l><lb/> <l>Dumpf brauſend die Flamme zum Himmel ſprang,</l><lb/> <l>Wie zitternde Glocken ertönt’ ihr Geſang —</l><lb/> <l>Die Ohren bedeckt’ ich mit meinen Händen,</l><lb/> <l>‚Das Singen, das Singen, wann wird es enden?‘</l><lb/> <l>Ich wandte mich ſchaudernd, ich floh von dem Ort —</l><lb/> <l>Die klagende Stimme zog mit mir fort,</l><lb/> <l>Wohin ich entfloh, wohin ich entwich,</l><lb/> <l>Der Geſang, der Geſang, er begleitete mich.</l><lb/> <l>Ob ich ſchlummernd lag, ob ich betend gewacht,</l><lb/> <l>Zu jeglicher Stunde, bei Tage und Nacht,</l><lb/> <l>Seit jenem Tage die fünfzig Jahr’,</l><lb/> <l>Ich höre ihn immer und immerdar!‘ —</l><lb/> <l>Medardus fuhr auf, wild war ſein Geſicht,</l><lb/> <l>‚Ich höre ſie wieder — vernimmſt Du es nicht?</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [252/0270]
Ernſt von Wildenbruch.
Wie taumelnde Vögel, verflattert im Meer,
So glitten voll Angſt ihre Augen umher;
Da trat ich heran mit dem Kruzifix,
Ihr Auge erfaßte mich ſuchenden Blicks,
Und ſiehe, und ſiehe, verſtohlener Weiſe
Da neigte ihr Haupt ſie, da nickte ſie leiſe,
Und ein Lächeln erſtand in dem ſüßen Geſicht,
Wie der ſcheidenden Sonne verlöſchendes Licht. —
Die loderne Fackel der Henker ſchwang,
Ihr lechzendes Aug’ in mein Auge ſich trank,
Die Flamme griff in das dürre Geäſt,
Ihre ſtarrenden Augen hielten mich feſt,
Die Funken ſtoben wie praſſelnder Staub,
Ihre Lippen erbebten, wie ſinkendes Laub,
Und plötzlich, und plötzlich vernahm ich ein Klingen,
Vom brennenden Holzſtoß begann ſie zu ſingen,
Wie Frühlingsregen, durchrauſchend die Nacht,
So ergriff mich des Liedes ſüß-ſelige Macht;
Mir war’s, als trüge herüber die Luft
Fremdländiſcher Blumen beſtrickenden Duft,
Als ſpräch’ eine Stimme zu meinen Ohren
Vom ſeligem Glück, das für ewig verloren.
Die Flamme ergriff ihren nackten Fuß,
Sie neigte ſich ſcheidend, zum letzten Gruß,
Der ſchwarze Rauch ſie wirbelnd umſchwoll,
Ihr klagender Sang aus dem Rauche ſcholl,
Dumpf brauſend die Flamme zum Himmel ſprang,
Wie zitternde Glocken ertönt’ ihr Geſang —
Die Ohren bedeckt’ ich mit meinen Händen,
‚Das Singen, das Singen, wann wird es enden?‘
Ich wandte mich ſchaudernd, ich floh von dem Ort —
Die klagende Stimme zog mit mir fort,
Wohin ich entfloh, wohin ich entwich,
Der Geſang, der Geſang, er begleitete mich.
Ob ich ſchlummernd lag, ob ich betend gewacht,
Zu jeglicher Stunde, bei Tage und Nacht,
Seit jenem Tage die fünfzig Jahr’,
Ich höre ihn immer und immerdar!‘ —
Medardus fuhr auf, wild war ſein Geſicht,
‚Ich höre ſie wieder — vernimmſt Du es nicht?
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