Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Ernst von Wildenbruch. Tief gesenkt das Haupt, das edle, Zu der Blutspur des Gebieters, Selbst aus tiefer Wunde blutend, Kam das Roß, das ihn getragen, Hundertmal in hundert Schlachten, El Mahran, der weiße Hengst. Von dem Burgthor, dem gewölbten, Schritt herab das Weib des Helden, Gülnahar, die vielgeliebte, Schlang um ihn die weißen Arme, Dunkel, flossen ihre Locken, "Rettet," rief sie, "meinen Herrn!" Und es sprach Medschnun der alte, Der der Heilkunst wohl erfahrne: "Schwer und tief sind seine Wunden, Nie zum Kampf mehr wird er reiten, Aber willst Du, daß er lebe, Leben wird er, folge mir: Von den Pfeilern, von den Wänden, Nimm die Waffen, die ihn schmückten, Die Gefährten alter Tage, Daß sein Blick sie nie mehr finde, Nie sein Auge ihn erinn're An den Glanz ruhmvoller Zeit. Banne ferne vom Palaste Die Posaunen, die Drommeten, Die Verkünder einst'ger Thaten, Daß sie nie mehr ihn erwecken, Nie sein Ohr ihn mehr erinn're An den Glanz ruhmvoller Zeit. Mische dann in seinen Becher Diese tief geheimen Tropfen, Deren Kraft ist, daß sie löschen Alles, was uns je betrübte, Alles, was uns je erfreute, Tödtend die Erinnerung." Ernſt von Wildenbruch. Tief geſenkt das Haupt, das edle, Zu der Blutſpur des Gebieters, Selbſt aus tiefer Wunde blutend, Kam das Roß, das ihn getragen, Hundertmal in hundert Schlachten, El Mahran, der weiße Hengſt. Von dem Burgthor, dem gewölbten, Schritt herab das Weib des Helden, Gülnahar, die vielgeliebte, Schlang um ihn die weißen Arme, Dunkel, floſſen ihre Locken, „Rettet,“ rief ſie, „meinen Herrn!“ Und es ſprach Medſchnun der alte, Der der Heilkunſt wohl erfahrne: „Schwer und tief ſind ſeine Wunden, Nie zum Kampf mehr wird er reiten, Aber willſt Du, daß er lebe, Leben wird er, folge mir: Von den Pfeilern, von den Wänden, Nimm die Waffen, die ihn ſchmückten, Die Gefährten alter Tage, Daß ſein Blick ſie nie mehr finde, Nie ſein Auge ihn erinn’re An den Glanz ruhmvoller Zeit. Banne ferne vom Palaſte Die Poſaunen, die Drommeten, Die Verkünder einſt’ger Thaten, Daß ſie nie mehr ihn erwecken, Nie ſein Ohr ihn mehr erinn’re An den Glanz ruhmvoller Zeit. Miſche dann in ſeinen Becher Dieſe tief geheimen Tropfen, Deren Kraft iſt, daß ſie löſchen Alles, was uns je betrübte, Alles, was uns je erfreute, Tödtend die Erinnerung.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0272" n="254"/> <fw place="top" type="header">Ernſt von Wildenbruch.</fw><lb/> <lg n="2"> <l>Tief geſenkt das Haupt, das edle,</l><lb/> <l>Zu der Blutſpur des Gebieters,</l><lb/> <l>Selbſt aus tiefer Wunde blutend,</l><lb/> <l>Kam das Roß, das ihn getragen,</l><lb/> <l>Hundertmal in hundert Schlachten,</l><lb/> <l>El Mahran, der weiße Hengſt.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Von dem Burgthor, dem gewölbten,</l><lb/> <l>Schritt herab das Weib des Helden,</l><lb/> <l>Gülnahar, die vielgeliebte,</l><lb/> <l>Schlang um ihn die weißen Arme,</l><lb/> <l>Dunkel, floſſen ihre Locken,</l><lb/> <l>„Rettet,“ rief ſie, „meinen Herrn!“</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Und es ſprach Medſchnun der alte,</l><lb/> <l>Der der Heilkunſt wohl erfahrne:</l><lb/> <l>„Schwer und tief ſind ſeine Wunden,</l><lb/> <l>Nie zum Kampf mehr wird er reiten,</l><lb/> <l>Aber willſt Du, daß er lebe,</l><lb/> <l>Leben wird er, folge mir:</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Von den Pfeilern, von den Wänden,</l><lb/> <l>Nimm die Waffen, die ihn ſchmückten,</l><lb/> <l>Die Gefährten alter Tage,</l><lb/> <l>Daß ſein Blick ſie nie mehr finde,</l><lb/> <l>Nie ſein Auge ihn erinn’re</l><lb/> <l>An den Glanz ruhmvoller Zeit.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Banne ferne vom Palaſte</l><lb/> <l>Die Poſaunen, die Drommeten,</l><lb/> <l>Die Verkünder einſt’ger Thaten,</l><lb/> <l>Daß ſie nie mehr ihn erwecken,</l><lb/> <l>Nie ſein Ohr ihn mehr erinn’re</l><lb/> <l>An den Glanz ruhmvoller Zeit.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Miſche dann in ſeinen Becher</l><lb/> <l>Dieſe tief geheimen Tropfen,</l><lb/> <l>Deren Kraft iſt, daß ſie löſchen</l><lb/> <l>Alles, was uns je betrübte,</l><lb/> <l>Alles, was uns je erfreute,</l><lb/> <l>Tödtend die Erinnerung.“</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [254/0272]
Ernſt von Wildenbruch.
Tief geſenkt das Haupt, das edle,
Zu der Blutſpur des Gebieters,
Selbſt aus tiefer Wunde blutend,
Kam das Roß, das ihn getragen,
Hundertmal in hundert Schlachten,
El Mahran, der weiße Hengſt.
Von dem Burgthor, dem gewölbten,
Schritt herab das Weib des Helden,
Gülnahar, die vielgeliebte,
Schlang um ihn die weißen Arme,
Dunkel, floſſen ihre Locken,
„Rettet,“ rief ſie, „meinen Herrn!“
Und es ſprach Medſchnun der alte,
Der der Heilkunſt wohl erfahrne:
„Schwer und tief ſind ſeine Wunden,
Nie zum Kampf mehr wird er reiten,
Aber willſt Du, daß er lebe,
Leben wird er, folge mir:
Von den Pfeilern, von den Wänden,
Nimm die Waffen, die ihn ſchmückten,
Die Gefährten alter Tage,
Daß ſein Blick ſie nie mehr finde,
Nie ſein Auge ihn erinn’re
An den Glanz ruhmvoller Zeit.
Banne ferne vom Palaſte
Die Poſaunen, die Drommeten,
Die Verkünder einſt’ger Thaten,
Daß ſie nie mehr ihn erwecken,
Nie ſein Ohr ihn mehr erinn’re
An den Glanz ruhmvoller Zeit.
Miſche dann in ſeinen Becher
Dieſe tief geheimen Tropfen,
Deren Kraft iſt, daß ſie löſchen
Alles, was uns je betrübte,
Alles, was uns je erfreute,
Tödtend die Erinnerung.“
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