Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Wolfgang Kirchbach. Hätt'st du die Schwester geboren mir nicht, Wär' ich König allein geworden -- Ich wäre heute kein Schuft, kein Wicht, Der's Schwesterlein mußt' ermorden!" Die Königin, die ward weiß wie Schnee, Ein Glöcklein hat geklungen -- Da schrie sie auf in wildem Weh, Das Herz ist ihr zersprungen. Und als der König vertrieben war, Vertrieben im Völkermorden, Und als verklungen manches Jahr, Ist er ein Hirte geworden. Da hat er sich eine Flöte gemacht, -- Ein Beinchen hatt' er gefunden -- Ein Schädel hat grinsend ihn angelacht, Das Mäuschen ist huschend verschwunden. Und als er blies den Flötenklang, Da flötet's hold und linde, Da klang's wie heller Mädchensang, Wie Blümlein säuseln im Winde. Da tönt's wie selig Lachen drein, Wie Jubeln und Seufzen vor Leide, Da schwirrt's wie schrilles Racheschrein, Wie Schwertschwung saust aus der Scheide: "Ich bin ein Beinchen vom Schwesterlein, Ein Knöchelchen voller Kunde; Ach, läg' ich lieber im Todtenschrein, Dann säß ich dir nicht am Munde. Ach, läg' ich lieber im Todtenschrein, Dann müßt ich nicht singen und sagen, Dann müßt ich nicht tödten mein Brüderlein Und müßte nicht flöten und klagen. Wolfgang Kirchbach. Hätt’ſt du die Schweſter geboren mir nicht, Wär’ ich König allein geworden — Ich wäre heute kein Schuft, kein Wicht, Der’s Schweſterlein mußt’ ermorden!“ Die Königin, die ward weiß wie Schnee, Ein Glöcklein hat geklungen — Da ſchrie ſie auf in wildem Weh, Das Herz iſt ihr zerſprungen. Und als der König vertrieben war, Vertrieben im Völkermorden, Und als verklungen manches Jahr, Iſt er ein Hirte geworden. Da hat er ſich eine Flöte gemacht, — Ein Beinchen hatt’ er gefunden — Ein Schädel hat grinſend ihn angelacht, Das Mäuschen iſt huſchend verſchwunden. Und als er blies den Flötenklang, Da flötet’s hold und linde, Da klang’s wie heller Mädchenſang, Wie Blümlein ſäuſeln im Winde. Da tönt’s wie ſelig Lachen drein, Wie Jubeln und Seufzen vor Leide, Da ſchwirrt’s wie ſchrilles Racheſchrein, Wie Schwertſchwung ſauſt aus der Scheide: „Ich bin ein Beinchen vom Schweſterlein, Ein Knöchelchen voller Kunde; Ach, läg’ ich lieber im Todtenſchrein, Dann ſäß ich dir nicht am Munde. Ach, läg’ ich lieber im Todtenſchrein, Dann müßt ich nicht ſingen und ſagen, Dann müßt ich nicht tödten mein Brüderlein Und müßte nicht flöten und klagen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0278" n="260"/> <fw place="top" type="header">Wolfgang Kirchbach.</fw><lb/> <lg n="10"> <l>Hätt’ſt du die Schweſter geboren mir nicht,</l><lb/> <l>Wär’ ich König allein geworden —</l><lb/> <l>Ich wäre heute kein Schuft, kein Wicht,</l><lb/> <l>Der’s Schweſterlein mußt’ ermorden!“</l> </lg><lb/> <lg n="11"> <l>Die Königin, die ward weiß wie Schnee,</l><lb/> <l>Ein Glöcklein hat geklungen —</l><lb/> <l>Da ſchrie ſie auf in wildem Weh,</l><lb/> <l>Das Herz iſt ihr zerſprungen.</l> </lg><lb/> <lg n="12"> <l>Und als der König vertrieben war,</l><lb/> <l>Vertrieben im Völkermorden,</l><lb/> <l>Und als verklungen manches Jahr,</l><lb/> <l>Iſt er ein Hirte geworden.</l> </lg><lb/> <lg n="13"> <l>Da hat er ſich eine Flöte gemacht, —</l><lb/> <l>Ein Beinchen hatt’ er gefunden —</l><lb/> <l>Ein Schädel hat grinſend ihn angelacht,</l><lb/> <l>Das Mäuschen iſt huſchend verſchwunden.</l> </lg><lb/> <lg n="14"> <l>Und als er blies den Flötenklang,</l><lb/> <l>Da flötet’s hold und linde,</l><lb/> <l>Da klang’s wie heller Mädchenſang,</l><lb/> <l>Wie Blümlein ſäuſeln im Winde.</l> </lg><lb/> <lg n="15"> <l>Da tönt’s wie ſelig Lachen drein,</l><lb/> <l>Wie Jubeln und Seufzen vor Leide,</l><lb/> <l>Da ſchwirrt’s wie ſchrilles Racheſchrein,</l><lb/> <l>Wie Schwertſchwung ſauſt aus der Scheide:</l> </lg><lb/> <lg n="16"> <l>„Ich bin ein Beinchen vom Schweſterlein,</l><lb/> <l>Ein Knöchelchen voller Kunde;</l><lb/> <l>Ach, läg’ ich lieber im Todtenſchrein,</l><lb/> <l>Dann ſäß ich dir nicht am Munde.</l> </lg><lb/> <lg n="17"> <l>Ach, läg’ ich lieber im Todtenſchrein,</l><lb/> <l>Dann müßt ich nicht ſingen und ſagen,</l><lb/> <l>Dann müßt ich nicht tödten mein Brüderlein</l><lb/> <l>Und müßte nicht flöten und klagen.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [260/0278]
Wolfgang Kirchbach.
Hätt’ſt du die Schweſter geboren mir nicht,
Wär’ ich König allein geworden —
Ich wäre heute kein Schuft, kein Wicht,
Der’s Schweſterlein mußt’ ermorden!“
Die Königin, die ward weiß wie Schnee,
Ein Glöcklein hat geklungen —
Da ſchrie ſie auf in wildem Weh,
Das Herz iſt ihr zerſprungen.
Und als der König vertrieben war,
Vertrieben im Völkermorden,
Und als verklungen manches Jahr,
Iſt er ein Hirte geworden.
Da hat er ſich eine Flöte gemacht, —
Ein Beinchen hatt’ er gefunden —
Ein Schädel hat grinſend ihn angelacht,
Das Mäuschen iſt huſchend verſchwunden.
Und als er blies den Flötenklang,
Da flötet’s hold und linde,
Da klang’s wie heller Mädchenſang,
Wie Blümlein ſäuſeln im Winde.
Da tönt’s wie ſelig Lachen drein,
Wie Jubeln und Seufzen vor Leide,
Da ſchwirrt’s wie ſchrilles Racheſchrein,
Wie Schwertſchwung ſauſt aus der Scheide:
„Ich bin ein Beinchen vom Schweſterlein,
Ein Knöchelchen voller Kunde;
Ach, läg’ ich lieber im Todtenſchrein,
Dann ſäß ich dir nicht am Munde.
Ach, läg’ ich lieber im Todtenſchrein,
Dann müßt ich nicht ſingen und ſagen,
Dann müßt ich nicht tödten mein Brüderlein
Und müßte nicht flöten und klagen.
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