Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].

Bild:
<< vorherige Seite
Karl Henckell.


In vollen Zügen.

Originalbeitrag.

In vollen Zügen saug' ich Deinen Duft,
Erquickung spendende Gewitterluft.
Die Jagd von Blitz und Donner fuhr vorbei,
Gepreßte Brust, wie athmest du so frei!
Doch schwellst du auf mit wonnevollem Beben,
Getränkt mit wunderbar erneutem Leben.
Noch fällt das Naß, die Wolken ziehn dahin,
Und mit den Wolken zieht mein flücht'ger Sinn!
Wer baut flughemmend jenen Wolken Schranken?
Wer setzt ein Ziel den schweifenden Gedanken?
Wer bannt mich fest, wer heißt mich rasten träg,
Wer ändert mir den selbsterwählten Weg?
Frei ist die Bahn, und Niemand darf mich zügeln,
Ich stürme fort auf adlerschnellen Flügeln.
Der Welten Räume messe ich zur Stund',
Von Himmelsfernen bis zum Höllenschlund,
Von Pol zu Pol, durch Höhen und durch Gründe,
Von Gott zu Bel, von Menschlichkeit zur Sünde.
Kein ruhig Ueberwesen weckt mir Neid:
Wir sind das All', wir sind die Herrlichkeit,
Wir sind uns selbst das Maß in allen Dingen,
Wir sind die Kämpfer, die den Sieg erringen,
In uns'rem Hirne brennt der Wahrheit Licht.
In uns'rem Herzen pocht des Mitleids Pflicht.
Die Liebe glüht in uns'rer Seele nur,
Und nur der Mensch geht auf der Schönheit Spur.
Karl Henckell.


In vollen Zügen.

Originalbeitrag.

In vollen Zügen ſaug’ ich Deinen Duft,
Erquickung ſpendende Gewitterluft.
Die Jagd von Blitz und Donner fuhr vorbei,
Gepreßte Bruſt, wie athmeſt du ſo frei!
Doch ſchwellſt du auf mit wonnevollem Beben,
Getränkt mit wunderbar erneutem Leben.
Noch fällt das Naß, die Wolken ziehn dahin,
Und mit den Wolken zieht mein flücht’ger Sinn!
Wer baut flughemmend jenen Wolken Schranken?
Wer ſetzt ein Ziel den ſchweifenden Gedanken?
Wer bannt mich feſt, wer heißt mich raſten träg,
Wer ändert mir den ſelbſterwählten Weg?
Frei iſt die Bahn, und Niemand darf mich zügeln,
Ich ſtürme fort auf adlerſchnellen Flügeln.
Der Welten Räume meſſe ich zur Stund’,
Von Himmelsfernen bis zum Höllenſchlund,
Von Pol zu Pol, durch Höhen und durch Gründe,
Von Gott zu Bel, von Menſchlichkeit zur Sünde.
Kein ruhig Ueberweſen weckt mir Neid:
Wir ſind das All’, wir ſind die Herrlichkeit,
Wir ſind uns ſelbſt das Maß in allen Dingen,
Wir ſind die Kämpfer, die den Sieg erringen,
In unſ’rem Hirne brennt der Wahrheit Licht.
In unſ’rem Herzen pocht des Mitleids Pflicht.
Die Liebe glüht in unſ’rer Seele nur,
Und nur der Menſch geht auf der Schönheit Spur.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0289" n="[271]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Karl Henckell.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">In vollen Zügen.</hi> </head><lb/>
          <p> <hi rendition="#c">Originalbeitrag.</hi> </p><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l><hi rendition="#in">I</hi>n vollen Zügen &#x017F;aug&#x2019; ich Deinen Duft,</l><lb/>
              <l>Erquickung &#x017F;pendende Gewitterluft.</l><lb/>
              <l>Die Jagd von Blitz und Donner fuhr vorbei,</l><lb/>
              <l>Gepreßte Bru&#x017F;t, wie athme&#x017F;t du &#x017F;o frei!</l><lb/>
              <l>Doch &#x017F;chwell&#x017F;t du auf mit wonnevollem Beben,</l><lb/>
              <l>Getränkt mit wunderbar erneutem Leben.</l><lb/>
              <l>Noch fällt das Naß, die Wolken ziehn dahin,</l><lb/>
              <l>Und mit den Wolken zieht mein flücht&#x2019;ger Sinn!</l><lb/>
              <l>Wer baut flughemmend jenen Wolken Schranken?</l><lb/>
              <l>Wer &#x017F;etzt ein Ziel den &#x017F;chweifenden Gedanken?</l><lb/>
              <l>Wer bannt mich fe&#x017F;t, wer heißt mich ra&#x017F;ten träg,</l><lb/>
              <l>Wer ändert mir den &#x017F;elb&#x017F;terwählten Weg?</l><lb/>
              <l><hi rendition="#g">Frei</hi> i&#x017F;t die Bahn, und Niemand darf mich zügeln,</l><lb/>
              <l>Ich &#x017F;türme fort auf adler&#x017F;chnellen Flügeln.</l><lb/>
              <l>Der Welten Räume me&#x017F;&#x017F;e ich zur Stund&#x2019;,</l><lb/>
              <l>Von Himmelsfernen bis zum Höllen&#x017F;chlund,</l><lb/>
              <l>Von Pol zu Pol, durch Höhen und durch Gründe,</l><lb/>
              <l>Von Gott zu Bel, von Men&#x017F;chlichkeit zur Sünde.</l><lb/>
              <l>Kein ruhig Ueberwe&#x017F;en weckt mir Neid:</l><lb/>
              <l><hi rendition="#g">Wir</hi> &#x017F;ind das All&#x2019;, <hi rendition="#g">wir</hi> &#x017F;ind die Herrlichkeit,</l><lb/>
              <l>Wir &#x017F;ind uns &#x017F;elb&#x017F;t das Maß in allen Dingen,</l><lb/>
              <l>Wir &#x017F;ind die Kämpfer, die den Sieg erringen,</l><lb/>
              <l>In un&#x017F;&#x2019;rem Hirne brennt der Wahrheit Licht.</l><lb/>
              <l>In un&#x017F;&#x2019;rem Herzen pocht des Mitleids Pflicht.</l><lb/>
              <l>Die Liebe glüht in <hi rendition="#g">un&#x017F;&#x2019;rer</hi> Seele nur,</l><lb/>
              <l>Und nur der Men&#x017F;ch geht auf der Schönheit Spur.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[271]/0289] Karl Henckell. In vollen Zügen. Originalbeitrag. In vollen Zügen ſaug’ ich Deinen Duft, Erquickung ſpendende Gewitterluft. Die Jagd von Blitz und Donner fuhr vorbei, Gepreßte Bruſt, wie athmeſt du ſo frei! Doch ſchwellſt du auf mit wonnevollem Beben, Getränkt mit wunderbar erneutem Leben. Noch fällt das Naß, die Wolken ziehn dahin, Und mit den Wolken zieht mein flücht’ger Sinn! Wer baut flughemmend jenen Wolken Schranken? Wer ſetzt ein Ziel den ſchweifenden Gedanken? Wer bannt mich feſt, wer heißt mich raſten träg, Wer ändert mir den ſelbſterwählten Weg? Frei iſt die Bahn, und Niemand darf mich zügeln, Ich ſtürme fort auf adlerſchnellen Flügeln. Der Welten Räume meſſe ich zur Stund’, Von Himmelsfernen bis zum Höllenſchlund, Von Pol zu Pol, durch Höhen und durch Gründe, Von Gott zu Bel, von Menſchlichkeit zur Sünde. Kein ruhig Ueberweſen weckt mir Neid: Wir ſind das All’, wir ſind die Herrlichkeit, Wir ſind uns ſelbſt das Maß in allen Dingen, Wir ſind die Kämpfer, die den Sieg erringen, In unſ’rem Hirne brennt der Wahrheit Licht. In unſ’rem Herzen pocht des Mitleids Pflicht. Die Liebe glüht in unſ’rer Seele nur, Und nur der Menſch geht auf der Schönheit Spur.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/289
Zitationshilfe: Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. [271]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/289>, abgerufen am 25.11.2024.