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Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].

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Carl Bleibtreu.
Bei der Hexe von Endor.

Original-Beitrag.

Der Geist Samuels:
Wer hat in meinem Schlummer mich gestört?
Weß Stimme habe ich im Grab gehört?
Bist du es, Fürst der Juden? Schaue her!
Es fleußt kein Blut in diesen Adern mehr
Und morsch und kalt wie Eis ist mein Gebein --
Wohl, also, König, wirst du morgen sein.
Dein Herz, das stets von Siegen nur geträumt,
Das wider Gott sich frevelnd aufgebäumt,
In dem das heiße Blut der Sünde gährt --
Es wird durchbohrt von deinem eignen Schwert.
Saul:
Fallen? In Staub zerfallen? Könnt' ich leibhaft
Dich packen, Tod! Doch ach, so ist's: den Löwen
Zu Boden ringen kann der Sohn der Steppe,
Doch dem Simum, dem körperlosen Schatten,
Der übers Land streift wie des Todes Schatten,
Dem Wesenlosen -- dem erliegt das Wesen.

O reichte meine wildgeballte Faust
Zu dir empor, Huld-lächelnder Tyrann!
Beraubt der stolzen Selbstgerechtigkeit,
Steh ich vor dir betäubt, doch nicht gestürzt.
Weg reiß ich erst die Scheidemauer, die
Uns trennt, den Schleier und den Vorwand: David!
Und hab' ich dich, dann hebe an das Ringen
Gott wider Mensch, wie einst an Jaboks Furth.
Und selbst mich krümmend unter deiner Sohle,
Zudonnern werde ich dir immer noch
Den Schlachtruf, den ich jetzt gen Himmel schleudre:
Sei du ein Gott! Du stehst nur über mir,
Wie der Gewaltherr auf dem blutigen Thron
Herabschaut auf den Freien, den er foltert.
Sei du ein Gott -- ich neide dir es nicht:
Mein Geist ist frei und mächtig, wie der deine --
Bleib du ein Gott, ich bleibe doch -- ein Mensch!



20*
Carl Bleibtreu.
Bei der Hexe von Endor.

Original-Beitrag.

Der Geiſt Samuels:
Wer hat in meinem Schlummer mich geſtört?
Weß Stimme habe ich im Grab gehört?
Biſt du es, Fürſt der Juden? Schaue her!
Es fleußt kein Blut in dieſen Adern mehr
Und morſch und kalt wie Eis iſt mein Gebein —
Wohl, alſo, König, wirſt du morgen ſein.
Dein Herz, das ſtets von Siegen nur geträumt,
Das wider Gott ſich frevelnd aufgebäumt,
In dem das heiße Blut der Sünde gährt —
Es wird durchbohrt von deinem eignen Schwert.
Saul:
Fallen? In Staub zerfallen? Könnt’ ich leibhaft
Dich packen, Tod! Doch ach, ſo iſt’s: den Löwen
Zu Boden ringen kann der Sohn der Steppe,
Doch dem Simum, dem körperloſen Schatten,
Der übers Land ſtreift wie des Todes Schatten,
Dem Weſenloſen — dem erliegt das Weſen.

O reichte meine wildgeballte Fauſt
Zu dir empor, Huld-lächelnder Tyrann!
Beraubt der ſtolzen Selbſtgerechtigkeit,
Steh ich vor dir betäubt, doch nicht geſtürzt.
Weg reiß ich erſt die Scheidemauer, die
Uns trennt, den Schleier und den Vorwand: David!
Und hab’ ich dich, dann hebe an das Ringen
Gott wider Menſch, wie einſt an Jaboks Furth.
Und ſelbſt mich krümmend unter deiner Sohle,
Zudonnern werde ich dir immer noch
Den Schlachtruf, den ich jetzt gen Himmel ſchleudre:
Sei du ein Gott! Du ſtehſt nur über mir,
Wie der Gewaltherr auf dem blutigen Thron
Herabſchaut auf den Freien, den er foltert.
Sei du ein Gott — ich neide dir es nicht:
Mein Geiſt iſt frei und mächtig, wie der deine —
Bleib du ein Gott, ich bleibe doch — ein Menſch!



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[3/0325] Carl Bleibtreu. Bei der Hexe von Endor. Original-Beitrag. Der Geiſt Samuels: Wer hat in meinem Schlummer mich geſtört? Weß Stimme habe ich im Grab gehört? Biſt du es, Fürſt der Juden? Schaue her! Es fleußt kein Blut in dieſen Adern mehr Und morſch und kalt wie Eis iſt mein Gebein — Wohl, alſo, König, wirſt du morgen ſein. Dein Herz, das ſtets von Siegen nur geträumt, Das wider Gott ſich frevelnd aufgebäumt, In dem das heiße Blut der Sünde gährt — Es wird durchbohrt von deinem eignen Schwert. Saul: Fallen? In Staub zerfallen? Könnt’ ich leibhaft Dich packen, Tod! Doch ach, ſo iſt’s: den Löwen Zu Boden ringen kann der Sohn der Steppe, Doch dem Simum, dem körperloſen Schatten, Der übers Land ſtreift wie des Todes Schatten, Dem Weſenloſen — dem erliegt das Weſen. O reichte meine wildgeballte Fauſt Zu dir empor, Huld-lächelnder Tyrann! Beraubt der ſtolzen Selbſtgerechtigkeit, Steh ich vor dir betäubt, doch nicht geſtürzt. Weg reiß ich erſt die Scheidemauer, die Uns trennt, den Schleier und den Vorwand: David! Und hab’ ich dich, dann hebe an das Ringen Gott wider Menſch, wie einſt an Jaboks Furth. Und ſelbſt mich krümmend unter deiner Sohle, Zudonnern werde ich dir immer noch Den Schlachtruf, den ich jetzt gen Himmel ſchleudre: Sei du ein Gott! Du ſtehſt nur über mir, Wie der Gewaltherr auf dem blutigen Thron Herabſchaut auf den Freien, den er foltert. Sei du ein Gott — ich neide dir es nicht: Mein Geiſt iſt frei und mächtig, wie der deine — Bleib du ein Gott, ich bleibe doch — ein Menſch! 20*

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Zitationshilfe: Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/325>, abgerufen am 23.11.2024.