Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].

Bild:
<< vorherige Seite
Carl Bleibtreu.
10.
Dem Goldfink gleich, der so farbenreich
Fliegt durchs Gestreuch an der "gelben Bai",
Doch, nistend im Wald, läßt schwinden alsbald
Seiner Farben lachenden Mai --
Kann Schönheit nur im frohen Reigen,
In der Bewegung nur sich zeigen.


Unrast.

Original-Beitrag.

Ihr nie verlöschten heiligen Flammenkörper,
Wachtfeuer ihr der Nacht, mit eurer Strahlen
Beredsamkeit, im Auge Friedensträume!
Auch ihr seid ruhelos und zittert droben
Mit ungewissem Licht, und Wolkenschatten
Umhüllen eure Stirn und bald wie bald!
Tritt euer Glanz zurück am Firmament.
-- O Unrast, Unrast! Sieh, wie rings das Meer,
Das seinen Busen frech dem Mond entblößt,
Wogend und ächzend in Begier und Groll,
Sich nach der Sterne schleierloser Schönheit,
Wie eine Seele nach Vollendung, sehnt!
Die ruhelosen Wolken ballen sich
Und lösen sich und fliegen dort durchs Blau,
Eisbergen gleich, bemalt mit Irisfarben
Durch die Rückspiegelung der warmen Sonne,
Die bald in Dunst wie Schnee sie lösen wird;
Der Sommer fliegt wie ein Erröthen hastig
Ueber der Erde Antlitz und verweht;
Der Regen prasselt wild und toll hernieder,
Die reuigen Winde jammern tief und schwer;
Und dieser ewige Planet der Pein
Hat Ruhe nie gekostet. Heimathlos,
Stöhnend und seufzend, eine Welt des Wahnsinns,
Rollt durch die Tiefen er der Ewigkeit.
Und, Mensch! -- O Kind, du fröhlich Lichtgebild
Aus Gottes Hand! Die tanzende Bewegung
Der muntern jungen Glieder wird gelenkt
Von deines Wesens innrer Harmonie.
Carl Bleibtreu.
10.
Dem Goldfink gleich, der ſo farbenreich
Fliegt durchs Geſtreuch an der „gelben Bai“,
Doch, niſtend im Wald, läßt ſchwinden alsbald
Seiner Farben lachenden Mai —
Kann Schönheit nur im frohen Reigen,
In der Bewegung nur ſich zeigen.


Unraſt.

Original-Beitrag.

Ihr nie verlöſchten heiligen Flammenkörper,
Wachtfeuer ihr der Nacht, mit eurer Strahlen
Beredſamkeit, im Auge Friedensträume!
Auch ihr ſeid ruhelos und zittert droben
Mit ungewiſſem Licht, und Wolkenſchatten
Umhüllen eure Stirn und bald wie bald!
Tritt euer Glanz zurück am Firmament.
— O Unraſt, Unraſt! Sieh, wie rings das Meer,
Das ſeinen Buſen frech dem Mond entblößt,
Wogend und ächzend in Begier und Groll,
Sich nach der Sterne ſchleierloſer Schönheit,
Wie eine Seele nach Vollendung, ſehnt!
Die ruheloſen Wolken ballen ſich
Und löſen ſich und fliegen dort durchs Blau,
Eisbergen gleich, bemalt mit Irisfarben
Durch die Rückſpiegelung der warmen Sonne,
Die bald in Dunſt wie Schnee ſie löſen wird;
Der Sommer fliegt wie ein Erröthen haſtig
Ueber der Erde Antlitz und verweht;
Der Regen praſſelt wild und toll hernieder,
Die reuigen Winde jammern tief und ſchwer;
Und dieſer ewige Planet der Pein
Hat Ruhe nie gekoſtet. Heimathlos,
Stöhnend und ſeufzend, eine Welt des Wahnſinns,
Rollt durch die Tiefen er der Ewigkeit.
Und, Menſch! — O Kind, du fröhlich Lichtgebild
Aus Gottes Hand! Die tanzende Bewegung
Der muntern jungen Glieder wird gelenkt
Von deines Weſens innrer Harmonie.
<TEI>
  <text>
    <back>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0332" n="10"/>
            <fw place="top" type="header">Carl Bleibtreu.</fw><lb/>
            <div n="4">
              <head>10.</head><lb/>
              <lg type="poem">
                <lg n="1">
                  <l>Dem Goldfink gleich, der &#x017F;o farbenreich</l><lb/>
                  <l><hi rendition="#g">Fliegt</hi> durchs Ge&#x017F;treuch an der &#x201E;gelben Bai&#x201C;,</l><lb/>
                  <l>Doch, <hi rendition="#g">ni&#x017F;tend</hi> im Wald, läßt &#x017F;chwinden alsbald</l><lb/>
                  <l>Seiner Farben lachenden Mai &#x2014;</l><lb/>
                  <l>Kann Schönheit nur im frohen Reigen,</l><lb/>
                  <l>In der <hi rendition="#g">Bewegung</hi> nur &#x017F;ich zeigen.</l>
                </lg>
              </lg>
            </div>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Unra&#x017F;t</hi>.</hi> </head><lb/>
            <p> <hi rendition="#c">Original-Beitrag.</hi> </p><lb/>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l>Ihr nie verlö&#x017F;chten heiligen Flammenkörper,</l><lb/>
                <l>Wachtfeuer ihr der Nacht, mit eurer Strahlen</l><lb/>
                <l>Bered&#x017F;amkeit, im Auge Friedensträume!</l><lb/>
                <l>Auch ihr &#x017F;eid ruhelos und zittert droben</l><lb/>
                <l>Mit ungewi&#x017F;&#x017F;em Licht, und Wolken&#x017F;chatten</l><lb/>
                <l>Umhüllen eure Stirn und bald wie bald!</l><lb/>
                <l>Tritt euer Glanz zurück am Firmament.</l><lb/>
                <l>&#x2014; O Unra&#x017F;t, Unra&#x017F;t! Sieh, wie rings das Meer,</l><lb/>
                <l>Das &#x017F;einen Bu&#x017F;en frech dem Mond entblößt,</l><lb/>
                <l>Wogend und ächzend in Begier und Groll,</l><lb/>
                <l>Sich nach der Sterne &#x017F;chleierlo&#x017F;er Schönheit,</l><lb/>
                <l>Wie eine Seele nach Vollendung, &#x017F;ehnt!</l><lb/>
                <l>Die ruhelo&#x017F;en Wolken ballen &#x017F;ich</l><lb/>
                <l>Und lö&#x017F;en &#x017F;ich und fliegen dort durchs Blau,</l><lb/>
                <l>Eisbergen gleich, bemalt mit Irisfarben</l><lb/>
                <l>Durch die Rück&#x017F;piegelung der warmen Sonne,</l><lb/>
                <l>Die bald in Dun&#x017F;t wie Schnee &#x017F;ie lö&#x017F;en wird;</l><lb/>
                <l>Der Sommer fliegt wie ein Erröthen ha&#x017F;tig</l><lb/>
                <l>Ueber der Erde Antlitz und verweht;</l><lb/>
                <l>Der Regen pra&#x017F;&#x017F;elt wild und toll hernieder,</l><lb/>
                <l>Die reuigen Winde jammern tief und &#x017F;chwer;</l><lb/>
                <l>Und die&#x017F;er ewige Planet der Pein</l><lb/>
                <l>Hat Ruhe nie geko&#x017F;tet. Heimathlos,</l><lb/>
                <l>Stöhnend und &#x017F;eufzend, eine Welt des Wahn&#x017F;inns,</l><lb/>
                <l>Rollt durch die Tiefen er der Ewigkeit.</l><lb/>
                <l>Und, Men&#x017F;ch! &#x2014; O Kind, du fröhlich Lichtgebild</l><lb/>
                <l>Aus Gottes Hand! Die tanzende Bewegung</l><lb/>
                <l>Der muntern jungen Glieder wird gelenkt</l><lb/>
                <l>Von deines We&#x017F;ens innrer Harmonie.</l><lb/>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </back>
  </text>
</TEI>
[10/0332] Carl Bleibtreu. 10. Dem Goldfink gleich, der ſo farbenreich Fliegt durchs Geſtreuch an der „gelben Bai“, Doch, niſtend im Wald, läßt ſchwinden alsbald Seiner Farben lachenden Mai — Kann Schönheit nur im frohen Reigen, In der Bewegung nur ſich zeigen. Unraſt. Original-Beitrag. Ihr nie verlöſchten heiligen Flammenkörper, Wachtfeuer ihr der Nacht, mit eurer Strahlen Beredſamkeit, im Auge Friedensträume! Auch ihr ſeid ruhelos und zittert droben Mit ungewiſſem Licht, und Wolkenſchatten Umhüllen eure Stirn und bald wie bald! Tritt euer Glanz zurück am Firmament. — O Unraſt, Unraſt! Sieh, wie rings das Meer, Das ſeinen Buſen frech dem Mond entblößt, Wogend und ächzend in Begier und Groll, Sich nach der Sterne ſchleierloſer Schönheit, Wie eine Seele nach Vollendung, ſehnt! Die ruheloſen Wolken ballen ſich Und löſen ſich und fliegen dort durchs Blau, Eisbergen gleich, bemalt mit Irisfarben Durch die Rückſpiegelung der warmen Sonne, Die bald in Dunſt wie Schnee ſie löſen wird; Der Sommer fliegt wie ein Erröthen haſtig Ueber der Erde Antlitz und verweht; Der Regen praſſelt wild und toll hernieder, Die reuigen Winde jammern tief und ſchwer; Und dieſer ewige Planet der Pein Hat Ruhe nie gekoſtet. Heimathlos, Stöhnend und ſeufzend, eine Welt des Wahnſinns, Rollt durch die Tiefen er der Ewigkeit. Und, Menſch! — O Kind, du fröhlich Lichtgebild Aus Gottes Hand! Die tanzende Bewegung Der muntern jungen Glieder wird gelenkt Von deines Weſens innrer Harmonie.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/332
Zitationshilfe: Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/332>, abgerufen am 23.11.2024.