Arndts, Maria: Der Juhschrei auf der Halseralm. Novelle aus dem bayerischen Gebirgslande. Dresden, 1875.Am nördlichen Ufer des See's liegt die große Meierei Jn den frühesten Stunden des nächsten Morgens, -- um Am nördlichen Ufer des See’s liegt die große Meierei Jn den früheſten Stunden des nächſten Morgens, — um <TEI> <text> <body> <div type="chapter"> <pb facs="#f0026"/> <p>Am nördlichen Ufer des See’s liegt die große Meierei<lb/> Kaltenbrunn, einſt ein Burgbeſitz der Erbmarſchalken der ge-<lb/> fürſteten Abtei Tegernſee. Dieſen Hof ſammt Alpenweiden,<lb/> Feldern und Gehölz hatte der König angekauft, und dort eine<lb/> Villa in ländlichem Geſchmack erbauen laſſen. Gegen Abend<lb/> fuhr er gerne dorthin, oft auch in Begleitung ſeiner Familie<lb/> und fremder Gäſte, und Letzteres war auch heute wieder der<lb/> Fall. Als die Herrſchaften in Kaltenbrunn ausgeſtiegen waren,<lb/> kam eben eine Sennerin daher und rief dem König in der<lb/> dort gewöhnlichen Gutmüthigkeit zu: „Guten Abend, Herr Nach-<lb/> bar!“ Der König, etwas frappirt, fragte: „Wie ſo, Herr Nach-<lb/> bar?“ Darauf das Mädchen: „Enka Alm und mein Alm<lb/> ſtoßen aneinander, alſo ſeids ös ja wohl mein Almanachbar“.<lb/> Der König freute ſich über die herzhafte Sprache und ſagte:<lb/> „Du haſt Recht, Mädchen, wir ſind Nachbarn, beſuche mich,<lb/> wenn ich mit der Königin auf die Königsalpe fahre.“ Als ſie<lb/> nun am Abend auf dem Balkon ſaßen, und verſenkt waren in<lb/> das herrliche Bild, — vor ſich den glänzenden Seeſpiegel, zu<lb/> beiden Seiten die von der untergehenden Sonne beleuchtete<lb/> Bergkette und im Hintergrund den fernen, majeſtätiſchen Plan-<lb/> berg von 6300 Fuß Höhe mit ſeinen magiſchen Lichtern, —<lb/> da kam dem König ein eigenthümlicher Gedanke: er wollte, daß<lb/> die Königin und ſeine Gäſte einmal die Feier einer echten Ge-<lb/> birgshochzeit ſehen, bei welcher Gelegenheit die verſchiedenen<lb/> Typen und Trachten der umliegenden Gauen ſich in ihrem<lb/> vollen Reiz und Glanz entfalten konnten. — Er erkundigte ſich,<lb/> ob in nächſter Zeit keine Hochzeit gehalten werde, und da ſeine<lb/> Frage verneint werden <choice><sic>ußte</sic><corr>mußte</corr></choice>, ſo beſchloß er, einen ſolchen<lb/> Brautzug, den Hochzeitsſchmaus und Tanz ſammt allen üblichen<lb/> Gebräuchen in Tegernſee feiern zu laſſen, ohne daß das Braut-<lb/> paar ſich wirklich heirathet. — Dieſer köſtliche Gedanke erregte<lb/> allgemeine Freude, und ſchon am kommenden Tag ſollten die<lb/> Vorbereitungen zur Ausführung getroffen werden.</p><lb/> <p>Jn den früheſten Stunden des nächſten Morgens, — um<lb/> 5 Uhr ſtand der König gewöhnlich auf, — erging der Befehl,<lb/> daß das ſchönſte Mädchen und der ſchmuckeſte Burſche der Um-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0026]
Am nördlichen Ufer des See’s liegt die große Meierei
Kaltenbrunn, einſt ein Burgbeſitz der Erbmarſchalken der ge-
fürſteten Abtei Tegernſee. Dieſen Hof ſammt Alpenweiden,
Feldern und Gehölz hatte der König angekauft, und dort eine
Villa in ländlichem Geſchmack erbauen laſſen. Gegen Abend
fuhr er gerne dorthin, oft auch in Begleitung ſeiner Familie
und fremder Gäſte, und Letzteres war auch heute wieder der
Fall. Als die Herrſchaften in Kaltenbrunn ausgeſtiegen waren,
kam eben eine Sennerin daher und rief dem König in der
dort gewöhnlichen Gutmüthigkeit zu: „Guten Abend, Herr Nach-
bar!“ Der König, etwas frappirt, fragte: „Wie ſo, Herr Nach-
bar?“ Darauf das Mädchen: „Enka Alm und mein Alm
ſtoßen aneinander, alſo ſeids ös ja wohl mein Almanachbar“.
Der König freute ſich über die herzhafte Sprache und ſagte:
„Du haſt Recht, Mädchen, wir ſind Nachbarn, beſuche mich,
wenn ich mit der Königin auf die Königsalpe fahre.“ Als ſie
nun am Abend auf dem Balkon ſaßen, und verſenkt waren in
das herrliche Bild, — vor ſich den glänzenden Seeſpiegel, zu
beiden Seiten die von der untergehenden Sonne beleuchtete
Bergkette und im Hintergrund den fernen, majeſtätiſchen Plan-
berg von 6300 Fuß Höhe mit ſeinen magiſchen Lichtern, —
da kam dem König ein eigenthümlicher Gedanke: er wollte, daß
die Königin und ſeine Gäſte einmal die Feier einer echten Ge-
birgshochzeit ſehen, bei welcher Gelegenheit die verſchiedenen
Typen und Trachten der umliegenden Gauen ſich in ihrem
vollen Reiz und Glanz entfalten konnten. — Er erkundigte ſich,
ob in nächſter Zeit keine Hochzeit gehalten werde, und da ſeine
Frage verneint werden mußte, ſo beſchloß er, einen ſolchen
Brautzug, den Hochzeitsſchmaus und Tanz ſammt allen üblichen
Gebräuchen in Tegernſee feiern zu laſſen, ohne daß das Braut-
paar ſich wirklich heirathet. — Dieſer köſtliche Gedanke erregte
allgemeine Freude, und ſchon am kommenden Tag ſollten die
Vorbereitungen zur Ausführung getroffen werden.
Jn den früheſten Stunden des nächſten Morgens, — um
5 Uhr ſtand der König gewöhnlich auf, — erging der Befehl,
daß das ſchönſte Mädchen und der ſchmuckeſte Burſche der Um-
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