Arndts, Maria: Der Juhschrei auf der Halseralm. Novelle aus dem bayerischen Gebirgslande. Dresden, 1875.1. Das Dorf im Gebirge. Nichts kann leicht einen freundlicheren Anblick gewähren, 1. Das Dorf im Gebirge. Nichts kann leicht einen freundlicheren Anblick gewähren, <TEI> <text> <pb facs="#f0008"/> <body> <div type="chapter"> <head>1. Das Dorf im Gebirge.</head><lb/> <p>Nichts kann leicht einen freundlicheren Anblick gewähren,<lb/> als ein bayeriſches Gebirgsdorf in Mitte des erſten Frühlings-<lb/> grün. Alles ſtimmt überein, die ſchmucken ſauberen Häuſer<lb/> und die Anmuth der neu erwachten Natur. Zwiſchen üppigen<lb/> Wieſen und ſanfte Anhöhen hinan liegen die großen und kleine-<lb/> ren Bauernhöfe, wovon einer den andern an Nettigkeit und rein-<lb/> lichem Ausſehen überbietet, und ſelbſt die kleinſte ärmlichſte<lb/> Hütte bleibt hierin nicht zurück. Die Bauart verräth ſoliden<lb/> und doch auch ländlich guten Geſchmack. Die Mauern ſind<lb/> weiß oder mit heller Farbe angeſtrichen, wovon die grünen<lb/> Fenſterladen beſonders hübſch abſtechen, und die Gläſer der<lb/> Fenſter ſind ſo blank geputzt, daß es der Sonne ſelbſt Ver-<lb/> gnügen machen muß, ſich darin zu ſpiegeln. Das Haus iſt<lb/> entweder ganz oder theilweiſe von einer aus Holz ſinnreich ge-<lb/> ſchnitzten Gallerie umgeben, und in einem wohl gepflegten, um-<lb/> zäunten Gärtchen fehlt neben den praktiſchen Pflanzen keines-<lb/> wegs der Schönheitsſinn, denn neben den Gemüſebeeten ſtehen<lb/> Roſen- <choice><sic>nnd</sic><corr>und</corr></choice> Fliederhecken; ja, ſelbſt die Fenſtergeſimſe und der<lb/> Balkon ſind durch Zierpflanzen geſchmückt, weil die Bäuerin,<lb/> obwohl förmlich gebettet zwiſchen Blumen und Blüthen, in ihrer<lb/> unmittelbaren Nähe doch noch einige beſondere <choice><sic>Liebliuge</sic><corr>Lieblinge</corr></choice> hütet:<lb/> gewöhnlich Nelken- und Geranienſtöcke. Ein wohlgeordneter<lb/> Holzſtoß darf auch nicht fehlen neben einem anſehnlichen Bauern-<lb/> haus. Vor dieſem iſt eine Bank, auf der die Familie am Sonn-<lb/> tag Nachmittag ausruht. Der Hausvater raucht ſein Pfeifchen,<lb/> die Bäuerin lieſt in einem frommen Buch, das junge Volk aber<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0008]
1. Das Dorf im Gebirge.
Nichts kann leicht einen freundlicheren Anblick gewähren,
als ein bayeriſches Gebirgsdorf in Mitte des erſten Frühlings-
grün. Alles ſtimmt überein, die ſchmucken ſauberen Häuſer
und die Anmuth der neu erwachten Natur. Zwiſchen üppigen
Wieſen und ſanfte Anhöhen hinan liegen die großen und kleine-
ren Bauernhöfe, wovon einer den andern an Nettigkeit und rein-
lichem Ausſehen überbietet, und ſelbſt die kleinſte ärmlichſte
Hütte bleibt hierin nicht zurück. Die Bauart verräth ſoliden
und doch auch ländlich guten Geſchmack. Die Mauern ſind
weiß oder mit heller Farbe angeſtrichen, wovon die grünen
Fenſterladen beſonders hübſch abſtechen, und die Gläſer der
Fenſter ſind ſo blank geputzt, daß es der Sonne ſelbſt Ver-
gnügen machen muß, ſich darin zu ſpiegeln. Das Haus iſt
entweder ganz oder theilweiſe von einer aus Holz ſinnreich ge-
ſchnitzten Gallerie umgeben, und in einem wohl gepflegten, um-
zäunten Gärtchen fehlt neben den praktiſchen Pflanzen keines-
wegs der Schönheitsſinn, denn neben den Gemüſebeeten ſtehen
Roſen- und Fliederhecken; ja, ſelbſt die Fenſtergeſimſe und der
Balkon ſind durch Zierpflanzen geſchmückt, weil die Bäuerin,
obwohl förmlich gebettet zwiſchen Blumen und Blüthen, in ihrer
unmittelbaren Nähe doch noch einige beſondere Lieblinge hütet:
gewöhnlich Nelken- und Geranienſtöcke. Ein wohlgeordneter
Holzſtoß darf auch nicht fehlen neben einem anſehnlichen Bauern-
haus. Vor dieſem iſt eine Bank, auf der die Familie am Sonn-
tag Nachmittag ausruht. Der Hausvater raucht ſein Pfeifchen,
die Bäuerin lieſt in einem frommen Buch, das junge Volk aber
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