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Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806.

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tragen und zu stützen, zu leisten und zu streben. Wo seyd ihr
versunken? Ihr liegt verloren im Allgemeinen, im Weltmeere
mit tausend Schätzen. Den Störchen möchte ich zuwinken:
Bleibt weg, holt keinen aus dem großen Wasser auf die Welt,
er sehnt und treibt sich doch wieder hinein, wie es auch ebbend
vor seinem Fuße fliehen mag. Aber es giebt nur einen Teufel
und viel Engel, ist wohl noch Rettung, ist die Wahl nur eure
Qual?--Ob sich etwa die Welt ausruht zum Ausserordentlichen?
Das Speculiren, was so ernsthaft genommen wird, macht es
wahrscheinlich, denn dies ist der Traum der Thätigkeit, nur
der Morgenträume sind wir uns bewußt. Wenn ich Abends im
Wintersturm beim Schauspielhause *) vorüberziehe, wo Licht
und Leben erloschen, ich denke wohl, die stille Uhr über den
langwierigen Stunden wird einmal anschlagen, der hohe Dekkel
sich eröffnen vom Sarge, die Larve wird durchbrochen von ei-
nem bunten Chor, die neue Bande aufsteigen, ausfliegen durch
das Land, fliegen auf allen Tönen, alle erwecken, die schon
schlafen gegangen! Das Eis hält lange, ehe es bricht und trägt
viel, aber wer nur einmal über das glatte Eis durch alle wun-
derbare Bahnverschlingungen seiner Vorläufer fest dahingefah-
ren, wo seine Augen den Schein der Sonne vor sich her sprin-
gen sahen, er ahndet das freudige Leben im freyen Strom --
zu schwimmen darin, zu segeln darauf, hindurch dem rauchenden
Hirsche nachzureiten, dann bey ihm auszuruhen im Grünen, die
Sterne darin zu sehen, kommen und untertauchen in ewiger
Witterung. Ja, wer nur einmal im Tanze sich verloren und
vergessen, wer einen Luftball ruhig wie die Sonne emporziehen

*) Dies bezieht sich auf den eigenthümlichen sargartigen Bau des neuen
Berliner Schauspielhauses, an andern Orten haben sie vielleicht die
Form nicht, aber denselben todten Inhalt, wie viele haben auch nicht
die Uhr über der Scene, aber dieselbe Langeweile.

tragen und zu ſtuͤtzen, zu leiſten und zu ſtreben. Wo ſeyd ihr
verſunken? Ihr liegt verloren im Allgemeinen, im Weltmeere
mit tauſend Schaͤtzen. Den Stoͤrchen moͤchte ich zuwinken:
Bleibt weg, holt keinen aus dem großen Waſſer auf die Welt,
er ſehnt und treibt ſich doch wieder hinein, wie es auch ebbend
vor ſeinem Fuße fliehen mag. Aber es giebt nur einen Teufel
und viel Engel, iſt wohl noch Rettung, iſt die Wahl nur eure
Qual?—Ob ſich etwa die Welt ausruht zum Auſſerordentlichen?
Das Speculiren, was ſo ernſthaft genommen wird, macht es
wahrſcheinlich, denn dies iſt der Traum der Thaͤtigkeit, nur
der Morgentraͤume ſind wir uns bewußt. Wenn ich Abends im
Winterſturm beim Schauſpielhauſe *) voruͤberziehe, wo Licht
und Leben erloſchen, ich denke wohl, die ſtille Uhr uͤber den
langwierigen Stunden wird einmal anſchlagen, der hohe Dekkel
ſich eroͤffnen vom Sarge, die Larve wird durchbrochen von ei-
nem bunten Chor, die neue Bande aufſteigen, ausfliegen durch
das Land, fliegen auf allen Toͤnen, alle erwecken, die ſchon
ſchlafen gegangen! Das Eis haͤlt lange, ehe es bricht und traͤgt
viel, aber wer nur einmal uͤber das glatte Eis durch alle wun-
derbare Bahnverſchlingungen ſeiner Vorlaͤufer feſt dahingefah-
ren, wo ſeine Augen den Schein der Sonne vor ſich her ſprin-
gen ſahen, er ahndet das freudige Leben im freyen Strom —
zu ſchwimmen darin, zu ſegeln darauf, hindurch dem rauchenden
Hirſche nachzureiten, dann bey ihm auszuruhen im Gruͤnen, die
Sterne darin zu ſehen, kommen und untertauchen in ewiger
Witterung. Ja, wer nur einmal im Tanze ſich verloren und
vergeſſen, wer einen Luftball ruhig wie die Sonne emporziehen

*) Dies bezieht ſich auf den eigenthuͤmlichen ſargartigen Bau des neuen
Berliner Schauſpielhauſes, an andern Orten haben ſie vielleicht die
Form nicht, aber denſelben todten Inhalt, wie viele haben auch nicht
die Uhr uͤber der Scene, aber dieſelbe Langeweile.
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[445[455]/0464] tragen und zu ſtuͤtzen, zu leiſten und zu ſtreben. Wo ſeyd ihr verſunken? Ihr liegt verloren im Allgemeinen, im Weltmeere mit tauſend Schaͤtzen. Den Stoͤrchen moͤchte ich zuwinken: Bleibt weg, holt keinen aus dem großen Waſſer auf die Welt, er ſehnt und treibt ſich doch wieder hinein, wie es auch ebbend vor ſeinem Fuße fliehen mag. Aber es giebt nur einen Teufel und viel Engel, iſt wohl noch Rettung, iſt die Wahl nur eure Qual?—Ob ſich etwa die Welt ausruht zum Auſſerordentlichen? Das Speculiren, was ſo ernſthaft genommen wird, macht es wahrſcheinlich, denn dies iſt der Traum der Thaͤtigkeit, nur der Morgentraͤume ſind wir uns bewußt. Wenn ich Abends im Winterſturm beim Schauſpielhauſe *) voruͤberziehe, wo Licht und Leben erloſchen, ich denke wohl, die ſtille Uhr uͤber den langwierigen Stunden wird einmal anſchlagen, der hohe Dekkel ſich eroͤffnen vom Sarge, die Larve wird durchbrochen von ei- nem bunten Chor, die neue Bande aufſteigen, ausfliegen durch das Land, fliegen auf allen Toͤnen, alle erwecken, die ſchon ſchlafen gegangen! Das Eis haͤlt lange, ehe es bricht und traͤgt viel, aber wer nur einmal uͤber das glatte Eis durch alle wun- derbare Bahnverſchlingungen ſeiner Vorlaͤufer feſt dahingefah- ren, wo ſeine Augen den Schein der Sonne vor ſich her ſprin- gen ſahen, er ahndet das freudige Leben im freyen Strom — zu ſchwimmen darin, zu ſegeln darauf, hindurch dem rauchenden Hirſche nachzureiten, dann bey ihm auszuruhen im Gruͤnen, die Sterne darin zu ſehen, kommen und untertauchen in ewiger Witterung. Ja, wer nur einmal im Tanze ſich verloren und vergeſſen, wer einen Luftball ruhig wie die Sonne emporziehen *) Dies bezieht ſich auf den eigenthuͤmlichen ſargartigen Bau des neuen Berliner Schauſpielhauſes, an andern Orten haben ſie vielleicht die Form nicht, aber denſelben todten Inhalt, wie viele haben auch nicht die Uhr uͤber der Scene, aber dieſelbe Langeweile.

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Zitationshilfe: Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. 445[455]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/464>, abgerufen am 21.11.2024.