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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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ihren Lippen und hauchte sie aus; denk' nur, sagte sie
voll Schauder, ausgeblasen; -- und im Dunkel hatte
mein Aug' noch das Gefühl von ihrer Gestalt; und da
hat mich plötzlich eine Angst befallen, die ärger sein muß,
als wenn man mit dem Tod ringt; ja, denn ich wär'
lieber gestorben, als noch länger diese Angst zu tragen.

Ich war gekommen, um Abschied zu nehmen, weil ich
mit Savigny nach Marburg reisen wollte, aber nun
wollte ich bei ihr bleiben. Reise nur fort, sagte sie,
denn ich reise auch übermorgen wieder in's Rheingau;
-- so ging ich denn weg. -- Bettine, rief sie mir in der
Thür zu: behalt' diese Geschichte, sie ist doch merkwür-
dig! Das waren ihre letzten Worte. In Marburg
schrieb ich ihr oft in's Rheingau von meinem wunder-
lichen Leben; -- ich wohnte einen ganzen Winter am
Berg, dicht unter dem alten Schloß, der Garten war mit
der Festungsmauer umgeben, aus den Fenstern hatt' ich
eine weite Aussicht über die Stadt und das reich bebaute
Hessenland; überall ragten die gothischen Thürme aus
den Schneedecken hervor; aus meinem Schlafzimmer
ging ich in den Berggarten, ich kletterte über die Fe-
stungsmauer, und stieg durch die verödeten Gärten; --
wo sich die Pförtchen nicht aufzwingen ließen, da brach
ich durch die Hecken, -- da saß ich auf der Steintreppe,

I. 5

ihren Lippen und hauchte ſie aus; denk' nur, ſagte ſie
voll Schauder, ausgeblaſen; — und im Dunkel hatte
mein Aug' noch das Gefühl von ihrer Geſtalt; und da
hat mich plötzlich eine Angſt befallen, die ärger ſein muß,
als wenn man mit dem Tod ringt; ja, denn ich wär'
lieber geſtorben, als noch länger dieſe Angſt zu tragen.

Ich war gekommen, um Abſchied zu nehmen, weil ich
mit Savigny nach Marburg reiſen wollte, aber nun
wollte ich bei ihr bleiben. Reiſe nur fort, ſagte ſie,
denn ich reiſe auch übermorgen wieder in's Rheingau;
— ſo ging ich denn weg. — Bettine, rief ſie mir in der
Thür zu: behalt' dieſe Geſchichte, ſie iſt doch merkwür-
dig! Das waren ihre letzten Worte. In Marburg
ſchrieb ich ihr oft in's Rheingau von meinem wunder-
lichen Leben; — ich wohnte einen ganzen Winter am
Berg, dicht unter dem alten Schloß, der Garten war mit
der Feſtungsmauer umgeben, aus den Fenſtern hatt' ich
eine weite Ausſicht über die Stadt und das reich bebaute
Heſſenland; überall ragten die gothiſchen Thürme aus
den Schneedecken hervor; aus meinem Schlafzimmer
ging ich in den Berggarten, ich kletterte über die Fe-
ſtungsmauer, und ſtieg durch die verödeten Gärten; —
wo ſich die Pförtchen nicht aufzwingen ließen, da brach
ich durch die Hecken, — da ſaß ich auf der Steintreppe,

I. 5
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[97/0129] ihren Lippen und hauchte ſie aus; denk' nur, ſagte ſie voll Schauder, ausgeblaſen; — und im Dunkel hatte mein Aug' noch das Gefühl von ihrer Geſtalt; und da hat mich plötzlich eine Angſt befallen, die ärger ſein muß, als wenn man mit dem Tod ringt; ja, denn ich wär' lieber geſtorben, als noch länger dieſe Angſt zu tragen. Ich war gekommen, um Abſchied zu nehmen, weil ich mit Savigny nach Marburg reiſen wollte, aber nun wollte ich bei ihr bleiben. Reiſe nur fort, ſagte ſie, denn ich reiſe auch übermorgen wieder in's Rheingau; — ſo ging ich denn weg. — Bettine, rief ſie mir in der Thür zu: behalt' dieſe Geſchichte, ſie iſt doch merkwür- dig! Das waren ihre letzten Worte. In Marburg ſchrieb ich ihr oft in's Rheingau von meinem wunder- lichen Leben; — ich wohnte einen ganzen Winter am Berg, dicht unter dem alten Schloß, der Garten war mit der Feſtungsmauer umgeben, aus den Fenſtern hatt' ich eine weite Ausſicht über die Stadt und das reich bebaute Heſſenland; überall ragten die gothiſchen Thürme aus den Schneedecken hervor; aus meinem Schlafzimmer ging ich in den Berggarten, ich kletterte über die Fe- ſtungsmauer, und ſtieg durch die verödeten Gärten; — wo ſich die Pförtchen nicht aufzwingen ließen, da brach ich durch die Hecken, — da ſaß ich auf der Steintreppe, I. 5

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/129>, abgerufen am 21.11.2024.