und ich fühle einen Triumph des Gelingens; -- alles was Du kaum ahndest, das zeige ich Dir im Tanz, und Du staunst über die Weisheit, die ich Dir vortanze, bald werf' ich den luftigen Mantel ab und zeig' Dir meine Flügel, und steig' auf in die Höhen; da freu' ich mich, wie dein Aug' mich verfolgt; dann schweb' ich wieder herab, und sink' in deine umfassenden Arme; dann athmest Du Seufzer aus, und siehst an mir hin- auf und bist ganz durchdrungen; aus diesen Träumen erwachend kehr' ich zu den Menschen zurück wie aus weiter Ferne; ihre Stimmen schallen mir fremd, und ihre Geberden auch; -- und nun laß mich bekennen, daß bei diesen Bekenntniß meiner Traumspiele meine Thränen fließen. Einmal hast Du für mich gesungen: So laßt mich scheinen bis ich werde, zieht wir das weiße Kleid nicht aus. -- Diese magischen Reize, diese Zauber- fähigkeiten sind mein weißes Kleid; ich flehe auch, daß es mir bleibe bis ich werde, aber Herr: diese Ahndung läßt sich nicht bestreiten, daß auch mir das weiße Kleid ausgezogen werde, und daß ich in den gewöhnlichen des alltäglichen gemeinen Lebens einhergehen werde; und daß diese Welt, in der meine Sinne lebendig sind, ver- sinken wird; das, was ich schützend decken sollte, das werde ich verrathen; da wo ich duldend mich unterwer-
und ich fühle einen Triumph des Gelingens; — alles was Du kaum ahndeſt, das zeige ich Dir im Tanz, und Du ſtaunſt über die Weisheit, die ich Dir vortanze, bald werf' ich den luftigen Mantel ab und zeig' Dir meine Flügel, und ſteig' auf in die Höhen; da freu' ich mich, wie dein Aug' mich verfolgt; dann ſchweb' ich wieder herab, und ſink' in deine umfaſſenden Arme; dann athmeſt Du Seufzer aus, und ſiehſt an mir hin- auf und biſt ganz durchdrungen; aus dieſen Träumen erwachend kehr' ich zu den Menſchen zurück wie aus weiter Ferne; ihre Stimmen ſchallen mir fremd, und ihre Geberden auch; — und nun laß mich bekennen, daß bei dieſen Bekenntniß meiner Traumſpiele meine Thränen fließen. Einmal haſt Du für mich geſungen: So laßt mich ſcheinen bis ich werde, zieht wir das weiße Kleid nicht aus. — Dieſe magiſchen Reize, dieſe Zauber- fähigkeiten ſind mein weißes Kleid; ich flehe auch, daß es mir bleibe bis ich werde, aber Herr: dieſe Ahndung läßt ſich nicht beſtreiten, daß auch mir das weiße Kleid ausgezogen werde, und daß ich in den gewöhnlichen des alltäglichen gemeinen Lebens einhergehen werde; und daß dieſe Welt, in der meine Sinne lebendig ſind, ver- ſinken wird; das, was ich ſchützend decken ſollte, das werde ich verrathen; da wo ich duldend mich unterwer-
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und ich fühle einen Triumph des Gelingens; — alles
was Du kaum ahndeſt, das zeige ich Dir im Tanz, und
Du ſtaunſt über die Weisheit, die ich Dir vortanze,
bald werf' ich den luftigen Mantel ab und zeig' Dir
meine Flügel, und ſteig' auf in die Höhen; da freu' ich
mich, wie dein Aug' mich verfolgt; dann ſchweb' ich
wieder herab, und ſink' in deine umfaſſenden Arme;
dann athmeſt Du Seufzer aus, und ſiehſt an mir hin-
auf und biſt ganz durchdrungen; aus dieſen Träumen
erwachend kehr' ich zu den Menſchen zurück wie aus
weiter Ferne; ihre Stimmen ſchallen mir fremd, und
ihre Geberden auch; — und nun laß mich bekennen,
daß bei dieſen Bekenntniß meiner Traumſpiele meine
Thränen fließen. Einmal haſt Du für mich geſungen:
So laßt mich ſcheinen bis ich werde, zieht wir das weiße
Kleid nicht aus. — Dieſe magiſchen Reize, dieſe Zauber-
fähigkeiten ſind mein weißes Kleid; ich flehe auch, daß
es mir bleibe bis ich werde, aber Herr: dieſe Ahndung
läßt ſich nicht beſtreiten, daß auch mir das weiße Kleid
ausgezogen werde, und daß ich in den gewöhnlichen des
alltäglichen gemeinen Lebens einhergehen werde; und
daß dieſe Welt, in der meine Sinne lebendig ſind, ver-
ſinken wird; das, was ich ſchützend decken ſollte, das
werde ich verrathen; da wo ich duldend mich unterwer-
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/170>, abgerufen am 24.11.2024.
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