auch still. Die reifen Früchte fielen von den Bäumen, er sagte: da fällt schon wieder ein Apfel und rollt' den Berg hinab; da überflog mich ein Frostschauer; -- der Wolfgang sagte: Mäuschen Du frierst, und schlug mir seinen Mantel um, den zog ich dicht um mich und seine Hand hielt ich fest, und so verging die Zeit -- und wir standen beide zugleich auf, und gingen Hand in Hand durch den einsamen Wiesengrund; -- jeder Schritt klang mir wieder im Herzen, in der lautlosen Stille, -- der Mond kam hinter jedem Busch hervor und beleuchtete uns, -- da blieb der Wolfgang stehen und lachte mich an im Mondglanz, und sagte zu mir: Du bist mein süßes Herz, und so führte er mich bis zu seiner Woh- nung und das war alles. -- "Und das waren goldne Minuten die keiner mit Gold aufwiegen kann, sagte die Mutter, und die sind nur Dir bescheert, und unter Tausenden wird's keiner begreifen, was Dir für ein Glücksloos zugefallen ist; ich aber versteh' es und ge- nieße es, als wenn ich zwei schöne Stimmen sich sin- gend Red' und Antwort geben hörte über ihr verschwie- genstes Glück."
Da holte mir die Mutter deinen Brief, und ließ mich lesen, was Du über mich geschrieben hast, daß es
auch ſtill. Die reifen Früchte fielen von den Bäumen, er ſagte: da fällt ſchon wieder ein Apfel und rollt' den Berg hinab; da überflog mich ein Froſtſchauer; — der Wolfgang ſagte: Mäuschen Du frierſt, und ſchlug mir ſeinen Mantel um, den zog ich dicht um mich und ſeine Hand hielt ich feſt, und ſo verging die Zeit — und wir ſtanden beide zugleich auf, und gingen Hand in Hand durch den einſamen Wieſengrund; — jeder Schritt klang mir wieder im Herzen, in der lautloſen Stille, — der Mond kam hinter jedem Buſch hervor und beleuchtete uns, — da blieb der Wolfgang ſtehen und lachte mich an im Mondglanz, und ſagte zu mir: Du biſt mein ſüßes Herz, und ſo führte er mich bis zu ſeiner Woh- nung und das war alles. — „Und das waren goldne Minuten die keiner mit Gold aufwiegen kann, ſagte die Mutter, und die ſind nur Dir beſcheert, und unter Tauſenden wird's keiner begreifen, was Dir für ein Glücksloos zugefallen iſt; ich aber verſteh' es und ge- nieße es, als wenn ich zwei ſchöne Stimmen ſich ſin- gend Red' und Antwort geben hörte über ihr verſchwie- genſtes Glück.“
Da holte mir die Mutter deinen Brief, und ließ mich leſen, was Du über mich geſchrieben haſt, daß es
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auch ſtill. Die reifen Früchte fielen von den Bäumen,
er ſagte: da fällt ſchon wieder ein Apfel und rollt' den
Berg hinab; da überflog mich ein Froſtſchauer; — der
Wolfgang ſagte: Mäuschen Du frierſt, und ſchlug mir
ſeinen Mantel um, den zog ich dicht um mich und ſeine
Hand hielt ich feſt, und ſo verging die Zeit — und wir
ſtanden beide zugleich auf, und gingen Hand in Hand
durch den einſamen Wieſengrund; — jeder Schritt klang
mir wieder im Herzen, in der lautloſen Stille, — der
Mond kam hinter jedem Buſch hervor und beleuchtete
uns, — da blieb der Wolfgang ſtehen und lachte mich
an im Mondglanz, und ſagte zu mir: Du biſt mein
ſüßes Herz, und ſo führte er mich bis zu ſeiner Woh-
nung und das war alles. — „Und das waren goldne
Minuten die keiner mit Gold aufwiegen kann, ſagte
die Mutter, und die ſind nur Dir beſcheert, und unter
Tauſenden wird's keiner begreifen, was Dir für ein
Glücksloos zugefallen iſt; ich aber verſteh' es und ge-
nieße es, als wenn ich zwei ſchöne Stimmen ſich ſin-
gend Red' und Antwort geben hörte über ihr verſchwie-
genſtes Glück.“
Da holte mir die Mutter deinen Brief, und ließ
mich leſen, was Du über mich geſchrieben haſt, daß es
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/205>, abgerufen am 24.11.2024.
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