sind oft zusammen in der Oper, da macht sie mich auf- merksam auf die einzelnen Theile, auf das Durchfüh- ren eines Satzes, auf das Einwirken der Instrumente; da bin ich denn ganz perplex, wenn ich solchen Bemer- kungen nachgehe; das Element der Musik, in dem ich mich aufgenommen fühlte, stößt mich aus, und dafür erkenne ich ein gemachtes, decorirtes, mit Geschmack be- handeltes Thema. Ich bin nicht in einer Welt die mich aus der Finsterniß in's Licht geboren werden läßt, wie damals in Offenbach, wo ich in der Großmutter Gar- ten auf grünem Rasen lag, und in den sonnigen blauen Himmel sah, während im Nachbarsgarten Onkel Bern- hards Kapelle die ganze Luft durchströmte und ich nichts wußte, nichts wollte, als meine Sinne der Musik ver- trauen. Damals hatte ich kein Urtheil, ich hörte keine Melodieen heraus, es war kein Schmachten, kein Be- geistern für Musik, ich fühlte mich in ihr wie der Fisch sich im Wasser fühlt. -- Wenn ich gefragt würde, ob ich damals zugehört habe, so könnte ich's nicht eigent- lich wissen, es war nicht Zuhören, es war Sein in der Musik; ich war viel zu tief versunken, als daß ich ge- hört hätte auf das was ich vernahm.
Ich bin dumm, Freund, ich kann nicht sagen was ich weiß. Gewiß, Du würdest mir recht geben, wenn
ſind oft zuſammen in der Oper, da macht ſie mich auf- merkſam auf die einzelnen Theile, auf das Durchfüh- ren eines Satzes, auf das Einwirken der Inſtrumente; da bin ich denn ganz perplex, wenn ich ſolchen Bemer- kungen nachgehe; das Element der Muſik, in dem ich mich aufgenommen fühlte, ſtößt mich aus, und dafür erkenne ich ein gemachtes, decorirtes, mit Geſchmack be- handeltes Thema. Ich bin nicht in einer Welt die mich aus der Finſterniß in's Licht geboren werden läßt, wie damals in Offenbach, wo ich in der Großmutter Gar- ten auf grünem Raſen lag, und in den ſonnigen blauen Himmel ſah, während im Nachbarsgarten Onkel Bern- hards Kapelle die ganze Luft durchſtrömte und ich nichts wußte, nichts wollte, als meine Sinne der Muſik ver- trauen. Damals hatte ich kein Urtheil, ich hörte keine Melodieen heraus, es war kein Schmachten, kein Be- geiſtern für Muſik, ich fühlte mich in ihr wie der Fiſch ſich im Waſſer fühlt. — Wenn ich gefragt würde, ob ich damals zugehört habe, ſo könnte ich's nicht eigent- lich wiſſen, es war nicht Zuhören, es war Sein in der Muſik; ich war viel zu tief verſunken, als daß ich ge- hört hätte auf das was ich vernahm.
Ich bin dumm, Freund, ich kann nicht ſagen was ich weiß. Gewiß, Du würdeſt mir recht geben, wenn
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ſind oft zuſammen in der Oper, da macht ſie mich auf-
merkſam auf die einzelnen Theile, auf das Durchfüh-
ren eines Satzes, auf das Einwirken der Inſtrumente;
da bin ich denn ganz perplex, wenn ich ſolchen Bemer-
kungen nachgehe; das Element der Muſik, in dem ich
mich aufgenommen fühlte, ſtößt mich aus, und dafür
erkenne ich ein gemachtes, decorirtes, mit Geſchmack be-
handeltes Thema. Ich bin nicht in einer Welt die mich
aus der Finſterniß in's Licht geboren werden läßt, wie
damals in Offenbach, wo ich in der Großmutter Gar-
ten auf grünem Raſen lag, und in den ſonnigen blauen
Himmel ſah, während im Nachbarsgarten Onkel Bern-
hards Kapelle die ganze Luft durchſtrömte und ich nichts
wußte, nichts wollte, als meine Sinne der Muſik ver-
trauen. Damals hatte ich kein Urtheil, ich hörte keine
Melodieen heraus, es war kein Schmachten, kein Be-
geiſtern für Muſik, ich fühlte mich in ihr wie der Fiſch
ſich im Waſſer fühlt. — Wenn ich gefragt würde, ob
ich damals zugehört habe, ſo könnte ich's nicht eigent-
lich wiſſen, es war nicht Zuhören, es war Sein in der
Muſik; ich war viel zu tief verſunken, als daß ich ge-
hört hätte auf das was ich vernahm.
Ich bin dumm, Freund, ich kann nicht ſagen was
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/212>, abgerufen am 21.11.2024.
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