Ist es Dir eine Freude, mich in tiefer Verwirrung, beschämt zu Deinen Füßen zu sehen, so sehe jetzt auf mich herab; so geht's der armen Schäfermaid, der der König die Krone aufsetzt; wenn ihr Herz auch stolz ist, ihn zu lieben, so ist die Krone doch zu schwer; ihr Köpf- chen schwankt unter der Last, und noch obendrein ist sie trunken von der Ehre, von den Huldigungen, die der Geliebte ihr schenkt.
Ach, ich werde mich hüten ferner zu klagen, oder um schön Wetter zu beten, kann ich doch den blen- denden Sonnenstrahl nicht vertragen. Nein, lieber im Dunkel seufzen, still verschwiegen, als von deiner Muse an's helle Tageslicht geführt, beschämt, bekränzt; das sprengt mir das Herz. Ach, betrachte mich nicht so lange, nimm mir die Krone ab, verschränke deine Arme um mich an Deinem Herzen, und lehre mich vergessen über Dir selber, daß Du mich verklärt mir wieder- schenkst.
Bettine.
An: Goethe.
Iſt es Dir eine Freude, mich in tiefer Verwirrung, beſchämt zu Deinen Füßen zu ſehen, ſo ſehe jetzt auf mich herab; ſo geht's der armen Schäfermaid, der der König die Krone aufſetzt; wenn ihr Herz auch ſtolz iſt, ihn zu lieben, ſo iſt die Krone doch zu ſchwer; ihr Köpf- chen ſchwankt unter der Laſt, und noch obendrein iſt ſie trunken von der Ehre, von den Huldigungen, die der Geliebte ihr ſchenkt.
Ach, ich werde mich hüten ferner zu klagen, oder um ſchön Wetter zu beten, kann ich doch den blen- denden Sonnenſtrahl nicht vertragen. Nein, lieber im Dunkel ſeufzen, ſtill verſchwiegen, als von deiner Muſe an's helle Tageslicht geführt, beſchämt, bekränzt; das ſprengt mir das Herz. Ach, betrachte mich nicht ſo lange, nimm mir die Krone ab, verſchränke deine Arme um mich an Deinem Herzen, und lehre mich vergeſſen über Dir ſelber, daß Du mich verklärt mir wieder- ſchenkſt.
Bettine.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0254"n="222"/><divn="2"><opener><salute>An: Goethe.</salute></opener><lb/><p>Iſt es Dir eine Freude, mich in tiefer Verwirrung,<lb/>
beſchämt zu Deinen Füßen zu ſehen, ſo ſehe jetzt auf<lb/>
mich herab; ſo geht's der armen Schäfermaid, der der<lb/>
König die Krone aufſetzt; wenn ihr Herz auch ſtolz iſt,<lb/>
ihn zu lieben, ſo iſt die Krone doch zu ſchwer; ihr Köpf-<lb/>
chen ſchwankt unter der Laſt, und noch obendrein iſt<lb/>ſie trunken von der Ehre, von den Huldigungen, die<lb/>
der Geliebte ihr ſchenkt.</p><lb/><p>Ach, ich werde mich hüten ferner zu klagen, oder<lb/>
um ſchön Wetter zu beten, kann ich doch den blen-<lb/>
denden Sonnenſtrahl nicht vertragen. Nein, lieber im<lb/>
Dunkel ſeufzen, ſtill verſchwiegen, als von deiner Muſe<lb/>
an's helle Tageslicht geführt, beſchämt, bekränzt; das<lb/>ſprengt mir das Herz. Ach, betrachte mich nicht ſo<lb/>
lange, nimm mir die Krone ab, verſchränke deine Arme<lb/>
um mich an Deinem Herzen, und lehre mich vergeſſen<lb/>
über Dir ſelber, daß Du mich verklärt mir wieder-<lb/>ſchenkſt.</p><lb/><closer><salute><hirendition="#et">Bettine.</hi></salute></closer></div><lb/></div></body></text></TEI>
[222/0254]
An: Goethe.
Iſt es Dir eine Freude, mich in tiefer Verwirrung,
beſchämt zu Deinen Füßen zu ſehen, ſo ſehe jetzt auf
mich herab; ſo geht's der armen Schäfermaid, der der
König die Krone aufſetzt; wenn ihr Herz auch ſtolz iſt,
ihn zu lieben, ſo iſt die Krone doch zu ſchwer; ihr Köpf-
chen ſchwankt unter der Laſt, und noch obendrein iſt
ſie trunken von der Ehre, von den Huldigungen, die
der Geliebte ihr ſchenkt.
Ach, ich werde mich hüten ferner zu klagen, oder
um ſchön Wetter zu beten, kann ich doch den blen-
denden Sonnenſtrahl nicht vertragen. Nein, lieber im
Dunkel ſeufzen, ſtill verſchwiegen, als von deiner Muſe
an's helle Tageslicht geführt, beſchämt, bekränzt; das
ſprengt mir das Herz. Ach, betrachte mich nicht ſo
lange, nimm mir die Krone ab, verſchränke deine Arme
um mich an Deinem Herzen, und lehre mich vergeſſen
über Dir ſelber, daß Du mich verklärt mir wieder-
ſchenkſt.
Bettine.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/254>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.