Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

bänke und Klippen sind, und die Strudel, die uns in
die Tiefe ziehen, und wie weit der jauchzende Schiffer
mit gespanntem Segel, mit frischem Wind wohl kom-
men wird, und was ihn am Ufer erwartet.

Wenn Dir's gefällt, einen Augenblick nachzuden-
ken über den Eigensinn meiner Neigung und über die
Erregbarkeit meines Geistes, so mag dir's wohl anschau-
lich sein, was mir unmündig Schiffenden noch begegnen
wird. O sag' mir's, daß ich nichts erwarten soll von
jenen Luftschlössern, die die Wolken eben im Saffran
und Purpurfeld der aufgehenden Sonne aufthürmen,
sag mir: Dies Lieben und Aufflammen, und dies trotzige
Schweigen zwischen mir und der Welt sei nichtig und
nichts!

Ach, der Regenbogen, der eben auf der Ingelheimer
Au' seinen diamantnen Fuß aufsetzt und sich über's Haus
hinüberschwingt auf den Johannisberg, der ist wohl
grad' wie der seelige Wahn, den ich habe von Dir und
Mir. Und der Rhein, der sein Netz ausspannt, um das
Bild seiner paradiesischen Ufer drinn aufzufangen, der
ist wie diese Lebensflamme, die von Spiegelungen des
Unerreichbaren sich nährt. Mag sie denn der Wirklich-
keit auch nicht mehr abgewinnen, als den Wahn; --
es wird mir eben auch den eigenthümlichen Geist geben

bänke und Klippen ſind, und die Strudel, die uns in
die Tiefe ziehen, und wie weit der jauchzende Schiffer
mit geſpanntem Segel, mit friſchem Wind wohl kom-
men wird, und was ihn am Ufer erwartet.

Wenn Dir's gefällt, einen Augenblick nachzuden-
ken über den Eigenſinn meiner Neigung und über die
Erregbarkeit meines Geiſtes, ſo mag dir's wohl anſchau-
lich ſein, was mir unmündig Schiffenden noch begegnen
wird. O ſag' mir's, daß ich nichts erwarten ſoll von
jenen Luftſchlöſſern, die die Wolken eben im Saffran
und Purpurfeld der aufgehenden Sonne aufthürmen,
ſag mir: Dies Lieben und Aufflammen, und dies trotzige
Schweigen zwiſchen mir und der Welt ſei nichtig und
nichts!

Ach, der Regenbogen, der eben auf der Ingelheimer
Au' ſeinen diamantnen Fuß aufſetzt und ſich über's Haus
hinüberſchwingt auf den Johannisberg, der iſt wohl
grad' wie der ſeelige Wahn, den ich habe von Dir und
Mir. Und der Rhein, der ſein Netz ausſpannt, um das
Bild ſeiner paradieſiſchen Ufer drinn aufzufangen, der
iſt wie dieſe Lebensflamme, die von Spiegelungen des
Unerreichbaren ſich nährt. Mag ſie denn der Wirklich-
keit auch nicht mehr abgewinnen, als den Wahn; —
es wird mir eben auch den eigenthümlichen Geiſt geben

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0276" n="244"/>
bänke und Klippen &#x017F;ind, und die Strudel, die uns in<lb/>
die Tiefe ziehen, und wie weit der jauchzende Schiffer<lb/>
mit ge&#x017F;panntem Segel, mit fri&#x017F;chem Wind wohl kom-<lb/>
men wird, und was ihn am Ufer erwartet.</p><lb/>
          <p>Wenn Dir's gefällt, einen Augenblick nachzuden-<lb/>
ken über den Eigen&#x017F;inn meiner Neigung und über die<lb/>
Erregbarkeit meines Gei&#x017F;tes, &#x017F;o mag dir's wohl an&#x017F;chau-<lb/>
lich &#x017F;ein, was mir unmündig Schiffenden noch begegnen<lb/>
wird. O &#x017F;ag' mir's, daß ich nichts erwarten &#x017F;oll von<lb/>
jenen Luft&#x017F;chlö&#x017F;&#x017F;ern, die die Wolken eben im Saffran<lb/>
und Purpurfeld der aufgehenden Sonne aufthürmen,<lb/>
&#x017F;ag mir: Dies Lieben und Aufflammen, und dies trotzige<lb/>
Schweigen zwi&#x017F;chen mir und der Welt &#x017F;ei nichtig und<lb/>
nichts!</p><lb/>
          <p>Ach, der Regenbogen, der eben auf der Ingelheimer<lb/>
Au' &#x017F;einen diamantnen Fuß auf&#x017F;etzt und &#x017F;ich über's Haus<lb/>
hinüber&#x017F;chwingt auf den Johannisberg, der i&#x017F;t wohl<lb/>
grad' wie der &#x017F;eelige Wahn, den ich habe von Dir und<lb/>
Mir. Und der Rhein, der &#x017F;ein Netz aus&#x017F;pannt, um das<lb/>
Bild &#x017F;einer paradie&#x017F;i&#x017F;chen Ufer drinn aufzufangen, der<lb/>
i&#x017F;t wie die&#x017F;e Lebensflamme, die von Spiegelungen des<lb/>
Unerreichbaren &#x017F;ich nährt. Mag &#x017F;ie denn der Wirklich-<lb/>
keit auch nicht mehr abgewinnen, als den Wahn; &#x2014;<lb/>
es wird mir eben auch den eigenthümlichen Gei&#x017F;t geben<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[244/0276] bänke und Klippen ſind, und die Strudel, die uns in die Tiefe ziehen, und wie weit der jauchzende Schiffer mit geſpanntem Segel, mit friſchem Wind wohl kom- men wird, und was ihn am Ufer erwartet. Wenn Dir's gefällt, einen Augenblick nachzuden- ken über den Eigenſinn meiner Neigung und über die Erregbarkeit meines Geiſtes, ſo mag dir's wohl anſchau- lich ſein, was mir unmündig Schiffenden noch begegnen wird. O ſag' mir's, daß ich nichts erwarten ſoll von jenen Luftſchlöſſern, die die Wolken eben im Saffran und Purpurfeld der aufgehenden Sonne aufthürmen, ſag mir: Dies Lieben und Aufflammen, und dies trotzige Schweigen zwiſchen mir und der Welt ſei nichtig und nichts! Ach, der Regenbogen, der eben auf der Ingelheimer Au' ſeinen diamantnen Fuß aufſetzt und ſich über's Haus hinüberſchwingt auf den Johannisberg, der iſt wohl grad' wie der ſeelige Wahn, den ich habe von Dir und Mir. Und der Rhein, der ſein Netz ausſpannt, um das Bild ſeiner paradieſiſchen Ufer drinn aufzufangen, der iſt wie dieſe Lebensflamme, die von Spiegelungen des Unerreichbaren ſich nährt. Mag ſie denn der Wirklich- keit auch nicht mehr abgewinnen, als den Wahn; — es wird mir eben auch den eigenthümlichen Geiſt geben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/276
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/276>, abgerufen am 22.11.2024.