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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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Wangen glühen vom Denken, und Frostschauer über-
laufen uns, die die Begeistrung zu neuer Gluth an-
fachen. Ja, lieber Freund, heute Morgen da ich er-
wachte, war mir's als hätte ich Großes erlebt, als hät-
ten die Gelübde meines Herzens Flügel, und schwängen
sich über Berg und Thal in's reine, heitre, lichterfüllte
Blau. -- Keinen Schwur, keine Bedingungen, alles nur
angemessne Bewegung, reines Streben nach dem Himm-
lischen. Das ist mein Gelübde: Freiheit von allen Ban-
den, und daß ich nur dem Geist glauben will, der Schö-
nes offenbart, der Seeligkeit prophezeiht.

Der Nachtthau hatte mich gewaschen; der scharfe
Morgenwind trocknete mich wieder; ich fühlte ein leises
Frösteln, aber ich erwärmte mich beim Herabsteigen von
meinem lieben sammtnen Rochus; die Schmetterlinge flo-
gen schon um die Blumen; ich trieb sie alle vor mir
her, und wo ich unterwegs einen sah, da jagte ich ihn
zu meiner Heerde; unten hatte ich wohl an dreißig bei-
sammen, -- ich hätte sie gar zu gerne mit über den
Rhein getrieben, aber da haspelten sie alle aus einander.

Eben kommt eine Ladung frankfurter Gäste; --
Christian Schlosser bringt mir einen Brief von der Mut-
ter und Dir, ich schließe, um zu lesen.

Dein Kind.

Wangen glühen vom Denken, und Froſtſchauer über-
laufen uns, die die Begeiſtrung zu neuer Gluth an-
fachen. Ja, lieber Freund, heute Morgen da ich er-
wachte, war mir's als hätte ich Großes erlebt, als hät-
ten die Gelübde meines Herzens Flügel, und ſchwängen
ſich über Berg und Thal in's reine, heitre, lichterfüllte
Blau. — Keinen Schwur, keine Bedingungen, alles nur
angemeſſne Bewegung, reines Streben nach dem Himm-
liſchen. Das iſt mein Gelübde: Freiheit von allen Ban-
den, und daß ich nur dem Geiſt glauben will, der Schö-
nes offenbart, der Seeligkeit prophezeiht.

Der Nachtthau hatte mich gewaſchen; der ſcharfe
Morgenwind trocknete mich wieder; ich fühlte ein leiſes
Fröſteln, aber ich erwärmte mich beim Herabſteigen von
meinem lieben ſammtnen Rochus; die Schmetterlinge flo-
gen ſchon um die Blumen; ich trieb ſie alle vor mir
her, und wo ich unterwegs einen ſah, da jagte ich ihn
zu meiner Heerde; unten hatte ich wohl an dreißig bei-
ſammen, — ich hätte ſie gar zu gerne mit über den
Rhein getrieben, aber da haſpelten ſie alle aus einander.

Eben kommt eine Ladung frankfurter Gäſte; —
Chriſtian Schloſſer bringt mir einen Brief von der Mut-
ter und Dir, ich ſchließe, um zu leſen.

Dein Kind.

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[257/0289] Wangen glühen vom Denken, und Froſtſchauer über- laufen uns, die die Begeiſtrung zu neuer Gluth an- fachen. Ja, lieber Freund, heute Morgen da ich er- wachte, war mir's als hätte ich Großes erlebt, als hät- ten die Gelübde meines Herzens Flügel, und ſchwängen ſich über Berg und Thal in's reine, heitre, lichterfüllte Blau. — Keinen Schwur, keine Bedingungen, alles nur angemeſſne Bewegung, reines Streben nach dem Himm- liſchen. Das iſt mein Gelübde: Freiheit von allen Ban- den, und daß ich nur dem Geiſt glauben will, der Schö- nes offenbart, der Seeligkeit prophezeiht. Der Nachtthau hatte mich gewaſchen; der ſcharfe Morgenwind trocknete mich wieder; ich fühlte ein leiſes Fröſteln, aber ich erwärmte mich beim Herabſteigen von meinem lieben ſammtnen Rochus; die Schmetterlinge flo- gen ſchon um die Blumen; ich trieb ſie alle vor mir her, und wo ich unterwegs einen ſah, da jagte ich ihn zu meiner Heerde; unten hatte ich wohl an dreißig bei- ſammen, — ich hätte ſie gar zu gerne mit über den Rhein getrieben, aber da haſpelten ſie alle aus einander. Eben kommt eine Ladung frankfurter Gäſte; — Chriſtian Schloſſer bringt mir einen Brief von der Mut- ter und Dir, ich ſchließe, um zu leſen. Dein Kind.

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/289>, abgerufen am 22.11.2024.