schon es der himmlischen Genialität entbehrt, und man ordentlich erkennt, wie ich froh war, mich vor meinem zürnenden Dämon, daß ich ihn so schlecht verstand, hin- ter den goldnen Reifrock deiner Mutter verbergen zu können. -- Adieu! gestern Abend ging ich noch spät in der schönen, blühenden Lindenallee im Mondschein am Ufer des Rheins, da hörte ich's klappen und sanft sin- gen. Da saß vor ihrer Hütte unter dem blühenden Lin- denbaum, die Mutter von Zwillingen, eins hatte sie an der Brust, und das andre wiegte ihr Fuß im Takt, während sie ihr Lied sang; also im Keim, wo kaum die erste Lebensspur sich regt, da ist Musik schon die Pfle- gerin des Geistes, es summt in's Ohr und dann schläft das Kind, die Töne sind die Gesellen seiner Träume, sie sind seine Mitwelt; es hat ja nichts -- das Kind, ob es die Mutter auch wiege, es ist allein im Geist; aber die Töne dringen in es ein und fesseln es an sich, wie die Erde das Leben der Pflanze an sich fesselt, und wenn Musik das Leben nicht hielt', so würde es erkalten. und so brütet Musik fort, von da an wo der Geist sich regt, bis er reif und flück und ungeduldig hinausstrebt nach jenseits, und da werden wir's wohl auch erfahren, daß Musik die Mutterwärme war, um den Geist unter der Erdenhülle auszubrüten. Amen.
ſchon es der himmliſchen Genialität entbehrt, und man ordentlich erkennt, wie ich froh war, mich vor meinem zürnenden Dämon, daß ich ihn ſo ſchlecht verſtand, hin- ter den goldnen Reifrock deiner Mutter verbergen zu können. — Adieu! geſtern Abend ging ich noch ſpät in der ſchönen, blühenden Lindenallee im Mondſchein am Ufer des Rheins, da hörte ich's klappen und ſanft ſin- gen. Da ſaß vor ihrer Hütte unter dem blühenden Lin- denbaum, die Mutter von Zwillingen, eins hatte ſie an der Bruſt, und das andre wiegte ihr Fuß im Takt, während ſie ihr Lied ſang; alſo im Keim, wo kaum die erſte Lebensſpur ſich regt, da iſt Muſik ſchon die Pfle- gerin des Geiſtes, es ſummt in's Ohr und dann ſchläft das Kind, die Töne ſind die Geſellen ſeiner Träume, ſie ſind ſeine Mitwelt; es hat ja nichts — das Kind, ob es die Mutter auch wiege, es iſt allein im Geiſt; aber die Töne dringen in es ein und feſſeln es an ſich, wie die Erde das Leben der Pflanze an ſich feſſelt, und wenn Muſik das Leben nicht hielt', ſo würde es erkalten. und ſo brütet Muſik fort, von da an wo der Geiſt ſich regt, bis er reif und flück und ungeduldig hinausſtrebt nach jenſeits, und da werden wir's wohl auch erfahren, daß Muſik die Mutterwärme war, um den Geiſt unter der Erdenhülle auszubrüten. Amen.
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ſchon es der himmliſchen Genialität entbehrt, und man
ordentlich erkennt, wie ich froh war, mich vor meinem
zürnenden Dämon, daß ich ihn ſo ſchlecht verſtand, hin-
ter den goldnen Reifrock deiner Mutter verbergen zu
können. — Adieu! geſtern Abend ging ich noch ſpät in
der ſchönen, blühenden Lindenallee im Mondſchein am
Ufer des Rheins, da hörte ich's klappen und ſanft ſin-
gen. Da ſaß vor ihrer Hütte unter dem blühenden Lin-
denbaum, die Mutter von Zwillingen, eins hatte ſie an
der Bruſt, und das andre wiegte ihr Fuß im Takt,
während ſie ihr Lied ſang; alſo im Keim, wo kaum die
erſte Lebensſpur ſich regt, da iſt Muſik ſchon die Pfle-
gerin des Geiſtes, es ſummt in's Ohr und dann ſchläft
das Kind, die Töne ſind die Geſellen ſeiner Träume, ſie
ſind ſeine Mitwelt; es hat ja nichts — das Kind, ob
es die Mutter auch wiege, es iſt allein im Geiſt; aber
die Töne dringen in es ein und feſſeln es an ſich, wie
die Erde das Leben der Pflanze an ſich feſſelt, und wenn
Muſik das Leben nicht hielt', ſo würde es erkalten. und
ſo brütet Muſik fort, von da an wo der Geiſt ſich regt,
bis er reif und flück und ungeduldig hinausſtrebt nach
jenſeits, und da werden wir's wohl auch erfahren, daß
Muſik die Mutterwärme war, um den Geiſt unter der
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/300>, abgerufen am 22.11.2024.
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