schon von dem Augenblick an, wo Du mir die Hand zum Abschied reichst und zu verstehen giebst, es sei ge- nug der Zärtlichkeit, -- da wende ich in Gedanken schon wieder um zu Dir. Darum lache ich auch mit dem einen Auge, während ich mit dem andern weine.
Wie seelig, also Dich zu denken, wie geschwätzig wird meine Seele in jedem kleinen Ereigniß, aus dem sie hofft, den Schatz zu heben.
Mein erster Gang war hier herauf, wo ich Dir den letzten Brief schrieb, eh' wir reisten. Ich wollte sehen, ob mein Tintenfaß noch da sei und meine kleine Mappe mit Papier. Alles noch an Ort und Stelle; Ach Goethe, ich habe Deine Briefe so lieb, ich habe sie eingehüllt in ein seidnes Tuch, mit bunten Blumen und goldnem Zierath gestickt. Am letzten Tag vor unserer Rheinreise, da wußte ich nicht wohin mit, mitnehmen wollte ich sie nicht, da wir allesammt nur einen Mantelsack hatten; in meinem Zimmerchen, das ich nicht verschließen konnte, weil es gebraucht wurde, mochte ich sie auch nicht las- sen, ich dachte, der Nachen könnte versinken und ich versaufen, und dann würde diese Briefe deren einer um den andern an meinem Herzen gelegen hat, in fremde Hand kommen. Erst wollte ich sie den Nonnen in Voll- raths aufzuheben geben; -- es sind Bernhardinerinnen,
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ſchon von dem Augenblick an, wo Du mir die Hand zum Abſchied reichſt und zu verſtehen giebſt, es ſei ge- nug der Zärtlichkeit, — da wende ich in Gedanken ſchon wieder um zu Dir. Darum lache ich auch mit dem einen Auge, während ich mit dem andern weine.
Wie ſeelig, alſo Dich zu denken, wie geſchwätzig wird meine Seele in jedem kleinen Ereigniß, aus dem ſie hofft, den Schatz zu heben.
Mein erſter Gang war hier herauf, wo ich Dir den letzten Brief ſchrieb, eh' wir reiſten. Ich wollte ſehen, ob mein Tintenfaß noch da ſei und meine kleine Mappe mit Papier. Alles noch an Ort und Stelle; Ach Goethe, ich habe Deine Briefe ſo lieb, ich habe ſie eingehüllt in ein ſeidnes Tuch, mit bunten Blumen und goldnem Zierath geſtickt. Am letzten Tag vor unſerer Rheinreiſe, da wußte ich nicht wohin mit, mitnehmen wollte ich ſie nicht, da wir alleſammt nur einen Mantelſack hatten; in meinem Zimmerchen, das ich nicht verſchließen konnte, weil es gebraucht wurde, mochte ich ſie auch nicht laſ- ſen, ich dachte, der Nachen könnte verſinken und ich verſaufen, und dann würde dieſe Briefe deren einer um den andern an meinem Herzen gelegen hat, in fremde Hand kommen. Erſt wollte ich ſie den Nonnen in Voll- raths aufzuheben geben; — es ſind Bernhardinerinnen,
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ſchon von dem Augenblick an, wo Du mir die Hand
zum Abſchied reichſt und zu verſtehen giebſt, es ſei ge-
nug der Zärtlichkeit, — da wende ich in Gedanken
ſchon wieder um zu Dir. Darum lache ich auch mit
dem einen Auge, während ich mit dem andern weine.
Wie ſeelig, alſo Dich zu denken, wie geſchwätzig
wird meine Seele in jedem kleinen Ereigniß, aus dem
ſie hofft, den Schatz zu heben.
Mein erſter Gang war hier herauf, wo ich Dir den
letzten Brief ſchrieb, eh' wir reiſten. Ich wollte ſehen,
ob mein Tintenfaß noch da ſei und meine kleine Mappe
mit Papier. Alles noch an Ort und Stelle; Ach Goethe,
ich habe Deine Briefe ſo lieb, ich habe ſie eingehüllt in
ein ſeidnes Tuch, mit bunten Blumen und goldnem
Zierath geſtickt. Am letzten Tag vor unſerer Rheinreiſe,
da wußte ich nicht wohin mit, mitnehmen wollte ich ſie
nicht, da wir alleſammt nur einen Mantelſack hatten;
in meinem Zimmerchen, das ich nicht verſchließen konnte,
weil es gebraucht wurde, mochte ich ſie auch nicht laſ-
ſen, ich dachte, der Nachen könnte verſinken und ich
verſaufen, und dann würde dieſe Briefe deren einer um
den andern an meinem Herzen gelegen hat, in fremde
Hand kommen. Erſt wollte ich ſie den Nonnen in Voll-
raths aufzuheben geben; — es ſind Bernhardinerinnen,
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/323>, abgerufen am 24.11.2024.
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