Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

sein aus dem tiefen Schlaf; ich verpraßte denn ein paar
Stunden mit selbsterschaffnen Träumen, und hatte am
End', was man nennt, eine unruhige Nacht zugebracht;
ich war blaß geworden und mager; ungeduldig, ja selbst
hart, wenn eins von den Geschwistern zur Unzeit mich
zu einer Zerstreuung reizen wollte; dachte oft, daß, wenn
ich Dich jemals selbst sehen sollte, was mir unmöglich
schien, so würde ich vielleicht viele Nächte ganz schlaflos
sein. -- Da mir nun endlich die Gewißheit ward, fühlte
ich eine Unruhe, die mir beinah unerträglich war. --
In Berlin, wo ich zum erstenmal eine Oper von Gluck
hörte (Musik fesselt mich sonst so, daß ich mich von
allem losmachen kann), wenn da die Pauken schlugen, --
lache nur nicht -- schlug mein Herz heftig mit; ich
fühlte Dich im Triumpf einziehen; es war mir festlich
wie dem Volk, das dem geliebten Fürsten entgegen zieht,
und ich dachte: "in wenig Tagen wird alles, was Dich
so von außen ergreift, in Dir selber erwachen! -- Aber
da ich nun endlich, endlich bei Dir war: -- Traum! jetzt
noch: -- wunderbarer Traum! -- da kam mein Kopf
auf Deiner Schulter zu ruhen, da schlief ich ein paar
Minuten nach vier bis fünf schlaflosen Nächten zum
[er]sten Mal.

Siehst Du, siehst Du! -- da soll ich mich hüten

ſein aus dem tiefen Schlaf; ich verpraßte denn ein paar
Stunden mit ſelbſterſchaffnen Träumen, und hatte am
End', was man nennt, eine unruhige Nacht zugebracht;
ich war blaß geworden und mager; ungeduldig, ja ſelbſt
hart, wenn eins von den Geſchwiſtern zur Unzeit mich
zu einer Zerſtreuung reizen wollte; dachte oft, daß, wenn
ich Dich jemals ſelbſt ſehen ſollte, was mir unmöglich
ſchien, ſo würde ich vielleicht viele Nächte ganz ſchlaflos
ſein. — Da mir nun endlich die Gewißheit ward, fühlte
ich eine Unruhe, die mir beinah unerträglich war. —
In Berlin, wo ich zum erſtenmal eine Oper von Gluck
hörte (Muſik feſſelt mich ſonſt ſo, daß ich mich von
allem losmachen kann), wenn da die Pauken ſchlugen, —
lache nur nicht — ſchlug mein Herz heftig mit; ich
fühlte Dich im Triumpf einziehen; es war mir feſtlich
wie dem Volk, das dem geliebten Fürſten entgegen zieht,
und ich dachte: „in wenig Tagen wird alles, was Dich
ſo von außen ergreift, in Dir ſelber erwachen! — Aber
da ich nun endlich, endlich bei Dir war: — Traum! jetzt
noch: — wunderbarer Traum! — da kam mein Kopf
auf Deiner Schulter zu ruhen, da ſchlief ich ein paar
Minuten nach vier bis fünf ſchlafloſen Nächten zum
[er]ſten Mal.

Siehſt Du, ſiehſt Du! — da ſoll ich mich hüten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0376" n="344"/>
&#x017F;ein aus dem tiefen Schlaf; ich verpraßte denn ein paar<lb/>
Stunden mit &#x017F;elb&#x017F;ter&#x017F;chaffnen Träumen, und hatte am<lb/>
End', was man nennt, eine unruhige Nacht zugebracht;<lb/>
ich war blaß geworden und mager; ungeduldig, ja &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
hart, wenn eins von den Ge&#x017F;chwi&#x017F;tern zur Unzeit mich<lb/>
zu einer Zer&#x017F;treuung reizen wollte; dachte oft, daß, wenn<lb/>
ich Dich jemals &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ehen &#x017F;ollte, was mir unmöglich<lb/>
&#x017F;chien, &#x017F;o würde ich vielleicht viele Nächte ganz &#x017F;chlaflos<lb/>
&#x017F;ein. &#x2014; Da mir nun endlich die Gewißheit ward, fühlte<lb/>
ich eine Unruhe, die mir beinah unerträglich war. &#x2014;<lb/>
In Berlin, wo ich zum er&#x017F;tenmal eine Oper von Gluck<lb/>
hörte (Mu&#x017F;ik fe&#x017F;&#x017F;elt mich &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o, daß ich mich von<lb/>
allem losmachen kann), wenn da die Pauken &#x017F;chlugen, &#x2014;<lb/>
lache nur nicht &#x2014; &#x017F;chlug mein Herz heftig mit; ich<lb/>
fühlte Dich im Triumpf einziehen; es war mir fe&#x017F;tlich<lb/>
wie dem Volk, das dem geliebten Für&#x017F;ten entgegen zieht,<lb/>
und ich dachte: &#x201E;in wenig Tagen wird alles, was Dich<lb/>
&#x017F;o von außen ergreift, in Dir &#x017F;elber erwachen! &#x2014; Aber<lb/>
da ich nun endlich, endlich bei Dir war: &#x2014; Traum! jetzt<lb/>
noch: &#x2014; wunderbarer Traum! &#x2014; da kam mein Kopf<lb/>
auf Deiner Schulter zu ruhen, da &#x017F;chlief ich ein paar<lb/>
Minuten nach vier bis fünf &#x017F;chlaflo&#x017F;en Nächten zum<lb/><supplied>er</supplied>&#x017F;ten Mal.</p><lb/>
          <p>Sieh&#x017F;t Du, &#x017F;ieh&#x017F;t Du! &#x2014; da &#x017F;oll ich mich hüten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[344/0376] ſein aus dem tiefen Schlaf; ich verpraßte denn ein paar Stunden mit ſelbſterſchaffnen Träumen, und hatte am End', was man nennt, eine unruhige Nacht zugebracht; ich war blaß geworden und mager; ungeduldig, ja ſelbſt hart, wenn eins von den Geſchwiſtern zur Unzeit mich zu einer Zerſtreuung reizen wollte; dachte oft, daß, wenn ich Dich jemals ſelbſt ſehen ſollte, was mir unmöglich ſchien, ſo würde ich vielleicht viele Nächte ganz ſchlaflos ſein. — Da mir nun endlich die Gewißheit ward, fühlte ich eine Unruhe, die mir beinah unerträglich war. — In Berlin, wo ich zum erſtenmal eine Oper von Gluck hörte (Muſik feſſelt mich ſonſt ſo, daß ich mich von allem losmachen kann), wenn da die Pauken ſchlugen, — lache nur nicht — ſchlug mein Herz heftig mit; ich fühlte Dich im Triumpf einziehen; es war mir feſtlich wie dem Volk, das dem geliebten Fürſten entgegen zieht, und ich dachte: „in wenig Tagen wird alles, was Dich ſo von außen ergreift, in Dir ſelber erwachen! — Aber da ich nun endlich, endlich bei Dir war: — Traum! jetzt noch: — wunderbarer Traum! — da kam mein Kopf auf Deiner Schulter zu ruhen, da ſchlief ich ein paar Minuten nach vier bis fünf ſchlafloſen Nächten zum erſten Mal. Siehſt Du, ſiehſt Du! — da ſoll ich mich hüten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/376
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/376>, abgerufen am 21.11.2024.