Franzosen, der es auf seinem Helm vom südlichen Frankreich bis nach Frankfurt in ihr Haus gebracht hat, hab' ich ihm verziehen. Im Wald setzte ich's auf die Erde, wie ich wegging, sprang es wieder auf meine Schulter und wollte von der Freiheit nichts pro- fitiren, und ich hätt's gern wieder mitgenommen, weil mich's lieber hatte als die schönen grünen Eichbäume. Wie ich aber in den Wagen kam, machten die andern so großen Lärm und schimpften so sehr auf unsern lie- ben Stubenkameraden, daß ich's in den Wald tragen mußte. Ich ließ dafür auch lange warten; ich suchte mir den schönsten Eichbaum im ganzen Wald und kletterte hinauf. Da oben ließ ich's aus seinem Beutel, -- es sprang gleich lustig von Ast zu Ast und machte sich an die Eicheln, unterdessen kletterte ich herunter. Wie ich unten ankam, hatte ich die Richtung nach dem Wagen verloren, und obschon ich nach mir rufen hörte, konnte ich gar nicht unterscheiden, wo die Stimmen herkamen. Ich blieb stehen, bis sie herbeikamen, um mich zu ho- len; sie zankten alle auf mich ich schwieg still, legte mich im Wagen auf drei Selterskrüge unten am Bo- den, und schlief einen herrlichen Schlaf, bis bei Mond- schein, wo der Wagen umfiel, ganz sanft, daß niemand beschädigt ward. Eine nußbraune Kammerjungfer flog
Franzoſen, der es auf ſeinem Helm vom ſüdlichen Frankreich bis nach Frankfurt in ihr Haus gebracht hat, hab' ich ihm verziehen. Im Wald ſetzte ich's auf die Erde, wie ich wegging, ſprang es wieder auf meine Schulter und wollte von der Freiheit nichts pro- fitiren, und ich hätt's gern wieder mitgenommen, weil mich's lieber hatte als die ſchönen grünen Eichbäume. Wie ich aber in den Wagen kam, machten die andern ſo großen Lärm und ſchimpften ſo ſehr auf unſern lie- ben Stubenkameraden, daß ich's in den Wald tragen mußte. Ich ließ dafür auch lange warten; ich ſuchte mir den ſchönſten Eichbaum im ganzen Wald und kletterte hinauf. Da oben ließ ich's aus ſeinem Beutel, — es ſprang gleich luſtig von Aſt zu Aſt und machte ſich an die Eicheln, unterdeſſen kletterte ich herunter. Wie ich unten ankam, hatte ich die Richtung nach dem Wagen verloren, und obſchon ich nach mir rufen hörte, konnte ich gar nicht unterſcheiden, wo die Stimmen herkamen. Ich blieb ſtehen, bis ſie herbeikamen, um mich zu ho- len; ſie zankten alle auf mich ich ſchwieg ſtill, legte mich im Wagen auf drei Selterskrüge unten am Bo- den, und ſchlief einen herrlichen Schlaf, bis bei Mond- ſchein, wo der Wagen umfiel, ganz ſanft, daß niemand beſchädigt ward. Eine nußbraune Kammerjungfer flog
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Franzoſen, der es auf ſeinem Helm vom ſüdlichen
Frankreich bis nach Frankfurt in ihr Haus gebracht
hat, hab' ich ihm verziehen. Im Wald ſetzte ich's auf
die Erde, wie ich wegging, ſprang es wieder auf
meine Schulter und wollte von der Freiheit nichts pro-
fitiren, und ich hätt's gern wieder mitgenommen, weil
mich's lieber hatte als die ſchönen grünen Eichbäume.
Wie ich aber in den Wagen kam, machten die andern
ſo großen Lärm und ſchimpften ſo ſehr auf unſern lie-
ben Stubenkameraden, daß ich's in den Wald tragen
mußte. Ich ließ dafür auch lange warten; ich ſuchte mir
den ſchönſten Eichbaum im ganzen Wald und kletterte
hinauf. Da oben ließ ich's aus ſeinem Beutel, — es
ſprang gleich luſtig von Aſt zu Aſt und machte ſich an
die Eicheln, unterdeſſen kletterte ich herunter. Wie ich
unten ankam, hatte ich die Richtung nach dem Wagen
verloren, und obſchon ich nach mir rufen hörte, konnte
ich gar nicht unterſcheiden, wo die Stimmen herkamen.
Ich blieb ſtehen, bis ſie herbeikamen, um mich zu ho-
len; ſie zankten alle auf mich ich ſchwieg ſtill, legte
mich im Wagen auf drei Selterskrüge unten am Bo-
den, und ſchlief einen herrlichen Schlaf, bis bei Mond-
ſchein, wo der Wagen umfiel, ganz ſanft, daß niemand
beſchädigt ward. Eine nußbraune Kammerjungfer flog
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/45>, abgerufen am 21.11.2024.
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