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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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und kam mir eine seltsame Furcht, wenn ich ihn auf
der Straße witterte. Bei Sonn- und Mondenschein
stürzt er auf mich los, ich suche zu entweichen, ach, ver-
gebens, die Angst lähmt meine Glieder und ich falle in
seine Hände. Nun fing er an sein System von Grund
aus in meine Seele einzukeilen, damit ich den Unter-
schied von Goethe's Ansicht ja recht auffasse; auch lud
er mich ein, um mir seine Lichttheorie auf französisch
vorzulesen, er übersetzt das Ganze, um es der pariser
Academie zu übergeben; da nun ein Dämon in mir
dem allen entgegen arbeitet, was sich als Wirklichkeit
behauptet, keine Form veredelt, alles poetische läugnet
oder höchst gleichgültig überbaut oder zertrümmert, so
hab ich ihm durch meine große Lügen, Parodieen und
Vergleichsammlungen wiederum das Leben, das ganz er-
starren wollte, auf etliche Zeit gefristet.

Ich meinte, da ich durch sein Prisma sah in den
schwarzen Streif, und alles sah was er wollte, daß der
Glaube die Geburt und sichtliche Erscheinung des Gei-
stes sei, und eine Befestigung seines Daseins, denn ohne
ihn schwebt alles und gewinnt keine Gestalt, und ver-
fliegt in tausend Auswegen. So auch wenn ich zweifle
und nicht glaube, so verfliegt mir auch dein schönes An-
denken und ich habe Nichts.

und kam mir eine ſeltſame Furcht, wenn ich ihn auf
der Straße witterte. Bei Sonn- und Mondenſchein
ſtürzt er auf mich los, ich ſuche zu entweichen, ach, ver-
gebens, die Angſt lähmt meine Glieder und ich falle in
ſeine Hände. Nun fing er an ſein Syſtem von Grund
aus in meine Seele einzukeilen, damit ich den Unter-
ſchied von Goethe's Anſicht ja recht auffaſſe; auch lud
er mich ein, um mir ſeine Lichttheorie auf franzöſiſch
vorzuleſen, er überſetzt das Ganze, um es der pariſer
Academie zu übergeben; da nun ein Dämon in mir
dem allen entgegen arbeitet, was ſich als Wirklichkeit
behauptet, keine Form veredelt, alles poetiſche läugnet
oder höchſt gleichgültig überbaut oder zertrümmert, ſo
hab ich ihm durch meine große Lügen, Parodieen und
Vergleichſammlungen wiederum das Leben, das ganz er-
ſtarren wollte, auf etliche Zeit gefriſtet.

Ich meinte, da ich durch ſein Prisma ſah in den
ſchwarzen Streif, und alles ſah was er wollte, daß der
Glaube die Geburt und ſichtliche Erſcheinung des Gei-
ſtes ſei, und eine Befeſtigung ſeines Daſeins, denn ohne
ihn ſchwebt alles und gewinnt keine Geſtalt, und ver-
fliegt in tauſend Auswegen. So auch wenn ich zweifle
und nicht glaube, ſo verfliegt mir auch dein ſchönes An-
denken und ich habe Nichts.

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[126/0136] und kam mir eine ſeltſame Furcht, wenn ich ihn auf der Straße witterte. Bei Sonn- und Mondenſchein ſtürzt er auf mich los, ich ſuche zu entweichen, ach, ver- gebens, die Angſt lähmt meine Glieder und ich falle in ſeine Hände. Nun fing er an ſein Syſtem von Grund aus in meine Seele einzukeilen, damit ich den Unter- ſchied von Goethe's Anſicht ja recht auffaſſe; auch lud er mich ein, um mir ſeine Lichttheorie auf franzöſiſch vorzuleſen, er überſetzt das Ganze, um es der pariſer Academie zu übergeben; da nun ein Dämon in mir dem allen entgegen arbeitet, was ſich als Wirklichkeit behauptet, keine Form veredelt, alles poetiſche läugnet oder höchſt gleichgültig überbaut oder zertrümmert, ſo hab ich ihm durch meine große Lügen, Parodieen und Vergleichſammlungen wiederum das Leben, das ganz er- ſtarren wollte, auf etliche Zeit gefriſtet. Ich meinte, da ich durch ſein Prisma ſah in den ſchwarzen Streif, und alles ſah was er wollte, daß der Glaube die Geburt und ſichtliche Erſcheinung des Gei- ſtes ſei, und eine Befeſtigung ſeines Daſeins, denn ohne ihn ſchwebt alles und gewinnt keine Geſtalt, und ver- fliegt in tauſend Auswegen. So auch wenn ich zweifle und nicht glaube, ſo verfliegt mir auch dein ſchönes An- denken und ich habe Nichts.

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/136>, abgerufen am 24.11.2024.