bars Dach das Morgens von der Sonne beschienen ist als ein Zeichen von Dir gesetzt.
Ohne Dich wär ich vielleicht so traurig geworden als ein blindgeborner der von den Himmelslichtern kei- nen Begriff hat. Du klarer Brunnen in dem der Mond sich spiegelt da man die Sterne mit hohler Hand zum trinken schöpft; Du Dichter, Freier der Natur der ihr Bild in der Brust, uns arme Sklavenkinder es anbeten lehrt.
Daß ich Dir schreibe ist so sonderbar als wenn eine Lippe zur andern spräche: höre ich habe Dir was zu sagen, ja ich hole zu weit aus da sich doch alles von selbst versteht, und was sollte die andere Lippe darauf antworten? Im Bewußtsein meiner Liebe, meiner innig- sten Verwandschaft zu Dir schweigst Du. -- Ach wie konnte doch Ottilie früher sterben wollen? -- O ich frage Dich: ist es nicht auch Buße, Glück zu tragen, Glück zu genießen? -- O Goethe, konntest Du keinen erschaffen der sie gerettet hätte? -- Du bist herrlich aber grausam daß Du dies Leben sich selbst vernichten läßt; nachdem nun einmal das Unglück herein gebrochen war, da mußtest Du decken wie die Erde deckt und wie sie neu über den Gräbern erblüht, so mußten höhere Ge- fühle und Gesinnungen aus dem Erlebten erblühen, und
bars Dach das Morgens von der Sonne beſchienen iſt als ein Zeichen von Dir geſetzt.
Ohne Dich wär ich vielleicht ſo traurig geworden als ein blindgeborner der von den Himmelslichtern kei- nen Begriff hat. Du klarer Brunnen in dem der Mond ſich ſpiegelt da man die Sterne mit hohler Hand zum trinken ſchöpft; Du Dichter, Freier der Natur der ihr Bild in der Bruſt, uns arme Sklavenkinder es anbeten lehrt.
Daß ich Dir ſchreibe iſt ſo ſonderbar als wenn eine Lippe zur andern ſpräche: höre ich habe Dir was zu ſagen, ja ich hole zu weit aus da ſich doch alles von ſelbſt verſteht, und was ſollte die andere Lippe darauf antworten? Im Bewußtſein meiner Liebe, meiner innig- ſten Verwandſchaft zu Dir ſchweigſt Du. — Ach wie konnte doch Ottilie früher ſterben wollen? — O ich frage Dich: iſt es nicht auch Buße, Glück zu tragen, Glück zu genießen? — O Goethe, konnteſt Du keinen erſchaffen der ſie gerettet hätte? — Du biſt herrlich aber grauſam daß Du dies Leben ſich ſelbſt vernichten läßt; nachdem nun einmal das Unglück herein gebrochen war, da mußteſt Du decken wie die Erde deckt und wie ſie neu über den Gräbern erblüht, ſo mußten höhere Ge- fühle und Geſinnungen aus dem Erlebten erblühen, und
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bars Dach das Morgens von der Sonne beſchienen iſt
als ein Zeichen von Dir geſetzt.
Ohne Dich wär ich vielleicht ſo traurig geworden
als ein blindgeborner der von den Himmelslichtern kei-
nen Begriff hat. Du klarer Brunnen in dem der Mond
ſich ſpiegelt da man die Sterne mit hohler Hand zum
trinken ſchöpft; Du Dichter, Freier der Natur der ihr
Bild in der Bruſt, uns arme Sklavenkinder es anbeten
lehrt.
Daß ich Dir ſchreibe iſt ſo ſonderbar als wenn eine
Lippe zur andern ſpräche: höre ich habe Dir was zu
ſagen, ja ich hole zu weit aus da ſich doch alles von
ſelbſt verſteht, und was ſollte die andere Lippe darauf
antworten? Im Bewußtſein meiner Liebe, meiner innig-
ſten Verwandſchaft zu Dir ſchweigſt Du. — Ach wie
konnte doch Ottilie früher ſterben wollen? — O ich
frage Dich: iſt es nicht auch Buße, Glück zu tragen,
Glück zu genießen? — O Goethe, konnteſt Du keinen
erſchaffen der ſie gerettet hätte? — Du biſt herrlich aber
grauſam daß Du dies Leben ſich ſelbſt vernichten läßt;
nachdem nun einmal das Unglück herein gebrochen war,
da mußteſt Du decken wie die Erde deckt und wie ſie
neu über den Gräbern erblüht, ſo mußten höhere Ge-
fühle und Geſinnungen aus dem Erlebten erblühen, und
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/153>, abgerufen am 21.11.2024.
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