Wort ganz in Gedanken, wenn denn einer etwas nicht versteht, so erwache ich aus einer andern Welt und maße mir an die Erklärung darüber zu geben, und was andre für Wahnwitz halten, das ist mir verständlich und hängt zusammen mit einem innern Wissen, das ich nicht von mir geben kann. -- Von Dir kann ich durch- aus nichts lesen hören, noch selbst vorlesen, ich muß mit mir und Dir allein sein.
Achtens: kann ich gegen Niemand fremd oder vor- nehm bleiben, wenn ich im mindesten unbequem bin, so werde ich ganz dumm, denn es scheint mir ungeheuer dumm, einander was weis zu machen. Auch daß sich der Respekt mehr in etwas erlerntem, als in etwas ge- fühltem äußert, ich meine, daß Ehrfurcht nur aus Ge- fühl der inneren Würde entspringen müsse. Dabei fällt mir ein, daß nahe bei München ein Dorf liegt, was Kultersheim heißt, auf einem Spaziergang dahin er- klärte man mir, daß dieser Name von Kultursheim her- rühre, weil man da dem Bauernstand eine höhere Bil- dung zu geben beabsichtigt habe; das ganze hat sich jedoch auf den alten Fuß gesetzt, und diese gute Bauern, die dem ganzen Land mit schönem Beispiel voranschrei- ten sollten, sitzen bei der Bierkanne und zechen um die Wette, das Schulhaus ist sehr groß und hat keine runde,
Wort ganz in Gedanken, wenn denn einer etwas nicht verſteht, ſo erwache ich aus einer andern Welt und maße mir an die Erklärung darüber zu geben, und was andre für Wahnwitz halten, das iſt mir verſtändlich und hängt zuſammen mit einem innern Wiſſen, das ich nicht von mir geben kann. — Von Dir kann ich durch- aus nichts leſen hören, noch ſelbſt vorleſen, ich muß mit mir und Dir allein ſein.
Achtens: kann ich gegen Niemand fremd oder vor- nehm bleiben, wenn ich im mindeſten unbequem bin, ſo werde ich ganz dumm, denn es ſcheint mir ungeheuer dumm, einander was weis zu machen. Auch daß ſich der Reſpekt mehr in etwas erlerntem, als in etwas ge- fühltem äußert, ich meine, daß Ehrfurcht nur aus Ge- fühl der inneren Würde entſpringen müſſe. Dabei fällt mir ein, daß nahe bei München ein Dorf liegt, was Kultersheim heißt, auf einem Spaziergang dahin er- klärte man mir, daß dieſer Name von Kultursheim her- rühre, weil man da dem Bauernſtand eine höhere Bil- dung zu geben beabſichtigt habe; das ganze hat ſich jedoch auf den alten Fuß geſetzt, und dieſe gute Bauern, die dem ganzen Land mit ſchönem Beiſpiel voranſchrei- ten ſollten, ſitzen bei der Bierkanne und zechen um die Wette, das Schulhaus iſt ſehr groß und hat keine runde,
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Wort ganz in Gedanken, wenn denn einer etwas nicht
verſteht, ſo erwache ich aus einer andern Welt und
maße mir an die Erklärung darüber zu geben, und was
andre für Wahnwitz halten, das iſt mir verſtändlich
und hängt zuſammen mit einem innern Wiſſen, das ich
nicht von mir geben kann. — Von Dir kann ich durch-
aus nichts leſen hören, noch ſelbſt vorleſen, ich muß mit
mir und Dir allein ſein.
Achtens: kann ich gegen Niemand fremd oder vor-
nehm bleiben, wenn ich im mindeſten unbequem bin, ſo
werde ich ganz dumm, denn es ſcheint mir ungeheuer
dumm, einander was weis zu machen. Auch daß ſich
der Reſpekt mehr in etwas erlerntem, als in etwas ge-
fühltem äußert, ich meine, daß Ehrfurcht nur aus Ge-
fühl der inneren Würde entſpringen müſſe. Dabei fällt
mir ein, daß nahe bei München ein Dorf liegt, was
Kultersheim heißt, auf einem Spaziergang dahin er-
klärte man mir, daß dieſer Name von Kultursheim her-
rühre, weil man da dem Bauernſtand eine höhere Bil-
dung zu geben beabſichtigt habe; das ganze hat ſich
jedoch auf den alten Fuß geſetzt, und dieſe gute Bauern,
die dem ganzen Land mit ſchönem Beiſpiel voranſchrei-
ten ſollten, ſitzen bei der Bierkanne und zechen um die
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/171>, abgerufen am 21.11.2024.
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