Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Ach schöner Sommernachmittag! ich brauch nicht
zu denken, der Geist sieht müssig hinauf in die christallne
Luft. -- Kein Witz, keine Tugend, nackt und blos ist
die Seele in der Gott sein Ebenbild erkennt.

Die ganze Zeit war Regenwetter, heute brennt die
Sonne wieder. Nun lieg ich hier zwischen Steinen auf
weichem Moos von vielen Frühlingen her, die jungen
Tannen dampfen heißes Harz aus, und rühren mit den
Ästen meinen Kopf. Ich muß jedem Fröschchen nach-
gucken, mich gegen Heuschrecken und Hummeln wehren,
dabei bin ich so faul -- was soll ich mit Dir schwätzen,
hier wo ein Hauch das Laub bewegt durch das die
Sonne auf meine geschlossnen Augenlieder spielt? --
Guter Meister! -- hör in diesem Lispeln wie sehr Du
meine Einsamkeit beglückst; der Du alles weißt, und al-
les fühlst, und weißt wie wenig die Worte dem innern
Sinn gehorchen. -- Wann soll ich Dich wiedersehen? --
Wann? -- Daß ich mich nur ein klein wenig an Dich
anlehnen möge und ausruhen, ich faules Kind.

Bettine.

Wie ich gestern aus meiner Faulheit erwachte und
mich besann, da waren die Schatten schon lang gewor-

Ach ſchöner Sommernachmittag! ich brauch nicht
zu denken, der Geiſt ſieht müſſig hinauf in die chriſtallne
Luft. — Kein Witz, keine Tugend, nackt und blos iſt
die Seele in der Gott ſein Ebenbild erkennt.

Die ganze Zeit war Regenwetter, heute brennt die
Sonne wieder. Nun lieg ich hier zwiſchen Steinen auf
weichem Moos von vielen Frühlingen her, die jungen
Tannen dampfen heißes Harz aus, und rühren mit den
Äſten meinen Kopf. Ich muß jedem Fröſchchen nach-
gucken, mich gegen Heuſchrecken und Hummeln wehren,
dabei bin ich ſo faul — was ſoll ich mit Dir ſchwätzen,
hier wo ein Hauch das Laub bewegt durch das die
Sonne auf meine geſchloſſnen Augenlieder ſpielt? —
Guter Meiſter! — hör in dieſem Liſpeln wie ſehr Du
meine Einſamkeit beglückſt; der Du alles weißt, und al-
les fühlſt, und weißt wie wenig die Worte dem innern
Sinn gehorchen. — Wann ſoll ich Dich wiederſehen? —
Wann? — Daß ich mich nur ein klein wenig an Dich
anlehnen möge und ausruhen, ich faules Kind.

Bettine.

Wie ich geſtern aus meiner Faulheit erwachte und
mich beſann, da waren die Schatten ſchon lang gewor-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0219" n="209"/>
          <p>Ach &#x017F;chöner Sommernachmittag! ich brauch nicht<lb/>
zu denken, der Gei&#x017F;t &#x017F;ieht mü&#x017F;&#x017F;ig hinauf in die chri&#x017F;tallne<lb/>
Luft. &#x2014; Kein Witz, keine Tugend, nackt und blos i&#x017F;t<lb/>
die Seele in der Gott &#x017F;ein Ebenbild erkennt.</p><lb/>
          <p>Die ganze Zeit war Regenwetter, heute brennt die<lb/>
Sonne wieder. Nun lieg ich hier zwi&#x017F;chen Steinen auf<lb/>
weichem Moos von vielen Frühlingen her, die jungen<lb/>
Tannen dampfen heißes Harz aus, und rühren mit den<lb/>
Ä&#x017F;ten meinen Kopf. Ich muß jedem Frö&#x017F;chchen nach-<lb/>
gucken, mich gegen Heu&#x017F;chrecken und Hummeln wehren,<lb/>
dabei bin ich &#x017F;o faul &#x2014; was &#x017F;oll ich mit Dir &#x017F;chwätzen,<lb/>
hier wo ein Hauch das Laub bewegt durch das die<lb/>
Sonne auf meine ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;nen Augenlieder &#x017F;pielt? &#x2014;<lb/>
Guter Mei&#x017F;ter! &#x2014; hör in die&#x017F;em Li&#x017F;peln wie &#x017F;ehr Du<lb/>
meine Ein&#x017F;amkeit beglück&#x017F;t; der Du alles weißt, und al-<lb/>
les fühl&#x017F;t, und weißt wie wenig die Worte dem innern<lb/>
Sinn gehorchen. &#x2014; Wann &#x017F;oll ich Dich wieder&#x017F;ehen? &#x2014;<lb/>
Wann? &#x2014; Daß ich mich nur ein klein wenig an Dich<lb/>
anlehnen möge und ausruhen, ich faules Kind.</p><lb/>
          <closer>
            <salute> <hi rendition="#et">Bettine.</hi> </salute>
          </closer>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <p>Wie ich ge&#x017F;tern aus meiner Faulheit erwachte und<lb/>
mich be&#x017F;ann, da waren die Schatten &#x017F;chon lang gewor-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[209/0219] Ach ſchöner Sommernachmittag! ich brauch nicht zu denken, der Geiſt ſieht müſſig hinauf in die chriſtallne Luft. — Kein Witz, keine Tugend, nackt und blos iſt die Seele in der Gott ſein Ebenbild erkennt. Die ganze Zeit war Regenwetter, heute brennt die Sonne wieder. Nun lieg ich hier zwiſchen Steinen auf weichem Moos von vielen Frühlingen her, die jungen Tannen dampfen heißes Harz aus, und rühren mit den Äſten meinen Kopf. Ich muß jedem Fröſchchen nach- gucken, mich gegen Heuſchrecken und Hummeln wehren, dabei bin ich ſo faul — was ſoll ich mit Dir ſchwätzen, hier wo ein Hauch das Laub bewegt durch das die Sonne auf meine geſchloſſnen Augenlieder ſpielt? — Guter Meiſter! — hör in dieſem Liſpeln wie ſehr Du meine Einſamkeit beglückſt; der Du alles weißt, und al- les fühlſt, und weißt wie wenig die Worte dem innern Sinn gehorchen. — Wann ſoll ich Dich wiederſehen? — Wann? — Daß ich mich nur ein klein wenig an Dich anlehnen möge und ausruhen, ich faules Kind. Bettine. Wie ich geſtern aus meiner Faulheit erwachte und mich beſann, da waren die Schatten ſchon lang gewor-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/219
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/219>, abgerufen am 24.11.2024.