weder er beschämt Euch alle, oder er wird's Euch gar- stig eintränken.
Am 31. Februar.
Dem wunderbaren Frühlingswetter konnte ich nicht wiederstehen, der warme mailiche Sonnenstrahl der das harte, eisige Neujahr ganz zusammenschmolz, war über- raschend, es hat mich hinaus getrieben in den kahlen, englischen Garten, ich bin auf alle Freundschaftstempel, chinesische Thürme, und Vaterlands-Monumente ge- klettert um die Tyroler Bergkette zu erblicken, die tau- sendfach ihre gespaltnen Häupter gen Himmel ragt; auch in meiner Seele kannst Du solche große Bergmas- sen finden, die tief bis in die Wurzel gespalten sind, und kalt und kahl ihre hartneckige Zacken in die Wol- ken strecken. Bei der Hand möcht ich Dich nehmen und weit wegführen, daß Du Dich besinnen solltest über mich, daß ich Dir in deinen Gedanken aufginge als et- was merkwürdiges dem Du nachspürtest, wie zum Bei- spiel einem Intermaxilarknochen über den Du dein Recht in so eifriger Correspondence gegen Soemering behaup- test, sag mir aufrichtig werde ich Dir nie so wichtig sein als ein solcher todter Knochen? -- Daß Gott alles wohl-
weder er beſchämt Euch alle, oder er wird's Euch gar- ſtig eintränken.
Am 31. Februar.
Dem wunderbaren Frühlingswetter konnte ich nicht wiederſtehen, der warme mailiche Sonnenſtrahl der das harte, eiſige Neujahr ganz zuſammenſchmolz, war über- raſchend, es hat mich hinaus getrieben in den kahlen, engliſchen Garten, ich bin auf alle Freundſchaftstempel, chineſiſche Thürme, und Vaterlands-Monumente ge- klettert um die Tyroler Bergkette zu erblicken, die tau- ſendfach ihre geſpaltnen Häupter gen Himmel ragt; auch in meiner Seele kannſt Du ſolche große Bergmaſ- ſen finden, die tief bis in die Wurzel geſpalten ſind, und kalt und kahl ihre hartneckige Zacken in die Wol- ken ſtrecken. Bei der Hand möcht ich Dich nehmen und weit wegführen, daß Du Dich beſinnen ſollteſt über mich, daß ich Dir in deinen Gedanken aufginge als et- was merkwürdiges dem Du nachſpürteſt, wie zum Bei- ſpiel einem Intermaxilarknochen über den Du dein Recht in ſo eifriger Correſpondence gegen Soemering behaup- teſt, ſag mir aufrichtig werde ich Dir nie ſo wichtig ſein als ein ſolcher todter Knochen? — Daß Gott alles wohl-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0023"n="13"/>
weder er beſchämt Euch alle, oder er wird's Euch gar-<lb/>ſtig eintränken.</p></div><lb/><divn="2"><dateline><hirendition="#et">Am 31. Februar.</hi></dateline><lb/><p>Dem wunderbaren Frühlingswetter konnte ich nicht<lb/>
wiederſtehen, der warme mailiche Sonnenſtrahl der das<lb/>
harte, eiſige Neujahr ganz zuſammenſchmolz, war über-<lb/>
raſchend, es hat mich hinaus getrieben in den kahlen,<lb/>
engliſchen Garten, ich bin auf alle Freundſchaftstempel,<lb/>
chineſiſche Thürme, und Vaterlands-Monumente ge-<lb/>
klettert um die Tyroler Bergkette zu erblicken, die tau-<lb/>ſendfach ihre geſpaltnen Häupter gen Himmel ragt;<lb/>
auch in meiner Seele kannſt Du ſolche große Bergmaſ-<lb/>ſen finden, die tief bis in die Wurzel geſpalten ſind,<lb/>
und kalt und kahl ihre hartneckige Zacken in die Wol-<lb/>
ken ſtrecken. Bei der Hand möcht ich Dich nehmen und<lb/>
weit wegführen, daß Du Dich beſinnen ſollteſt über<lb/>
mich, daß ich Dir in deinen Gedanken aufginge als et-<lb/>
was merkwürdiges dem Du nachſpürteſt, wie zum Bei-<lb/>ſpiel einem Intermaxilarknochen über den Du dein Recht<lb/>
in ſo eifriger Correſpondence gegen Soemering behaup-<lb/>
teſt, ſag mir aufrichtig werde ich Dir nie ſo wichtig ſein<lb/>
als ein ſolcher todter Knochen? — Daß Gott alles wohl-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[13/0023]
weder er beſchämt Euch alle, oder er wird's Euch gar-
ſtig eintränken.
Am 31. Februar.
Dem wunderbaren Frühlingswetter konnte ich nicht
wiederſtehen, der warme mailiche Sonnenſtrahl der das
harte, eiſige Neujahr ganz zuſammenſchmolz, war über-
raſchend, es hat mich hinaus getrieben in den kahlen,
engliſchen Garten, ich bin auf alle Freundſchaftstempel,
chineſiſche Thürme, und Vaterlands-Monumente ge-
klettert um die Tyroler Bergkette zu erblicken, die tau-
ſendfach ihre geſpaltnen Häupter gen Himmel ragt;
auch in meiner Seele kannſt Du ſolche große Bergmaſ-
ſen finden, die tief bis in die Wurzel geſpalten ſind,
und kalt und kahl ihre hartneckige Zacken in die Wol-
ken ſtrecken. Bei der Hand möcht ich Dich nehmen und
weit wegführen, daß Du Dich beſinnen ſollteſt über
mich, daß ich Dir in deinen Gedanken aufginge als et-
was merkwürdiges dem Du nachſpürteſt, wie zum Bei-
ſpiel einem Intermaxilarknochen über den Du dein Recht
in ſo eifriger Correſpondence gegen Soemering behaup-
teſt, ſag mir aufrichtig werde ich Dir nie ſo wichtig ſein
als ein ſolcher todter Knochen? — Daß Gott alles wohl-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/23>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.