ein Mährchen! ein Mährchen, wenn die Blase von der krausen Wolle des Tuchs eine Weile gehalten endlich platzte schrieen sie wieder, das Mährchen platzt. Die Nachbarsleute in den angränzenden Gärten guckten über Mauer und Verzäunung und nahmen den lebhaftesten Antheil an diesem großen Jubel, so daß dies kleine Fest am Abend in der ganzen Stadt bekannt war. Die Stadt hat's vergessen, die Mutter hat's behalten und es sich später oft als eine Weissagung deiner Zukunft ausgelegt.
Nun lieber Goethe muß ich Dir bekennen daß es mir das Herz zusammenschnürt wenn ich Dir diese ein- zelnen Dinge hinter einander hinschreibe die mit tausend Gedanken zusammen hängen welche ich Dir weder er- zählen noch sonst deutlich machen kann, denn Du liebst Dich nicht wie ich, und Dir muß dies wohl unbedeutend erscheinen, während ich keinen Athemzug von Dir ver- lieren möchte. -- Daß vieles sich nicht verwindet wenn's einmal empfunden ist, daß es immer wiederkehrt, ist nicht traurig; aber daß die Ufer ewig unerreichbar blei- ben, das schärft den Schmerz. -- Wenn mir deine Liebe zu meiner Mutter durchklingt und ich überdenke das ganze, dies zurückhalten dies verbrausen der Jugend auf tausend Wegen -- es muß sich ja doch einmal lösen. -- Mein Leben: was war's anders als ein tiefer Spie-
ein Mährchen! ein Mährchen, wenn die Blaſe von der krauſen Wolle des Tuchs eine Weile gehalten endlich platzte ſchrieen ſie wieder, das Mährchen platzt. Die Nachbarsleute in den angränzenden Gärten guckten über Mauer und Verzäunung und nahmen den lebhafteſten Antheil an dieſem großen Jubel, ſo daß dies kleine Feſt am Abend in der ganzen Stadt bekannt war. Die Stadt hat's vergeſſen, die Mutter hat's behalten und es ſich ſpäter oft als eine Weiſſagung deiner Zukunft ausgelegt.
Nun lieber Goethe muß ich Dir bekennen daß es mir das Herz zuſammenſchnürt wenn ich Dir dieſe ein- zelnen Dinge hinter einander hinſchreibe die mit tauſend Gedanken zuſammen hängen welche ich Dir weder er- zählen noch ſonſt deutlich machen kann, denn Du liebſt Dich nicht wie ich, und Dir muß dies wohl unbedeutend erſcheinen, während ich keinen Athemzug von Dir ver- lieren möchte. — Daß vieles ſich nicht verwindet wenn's einmal empfunden iſt, daß es immer wiederkehrt, iſt nicht traurig; aber daß die Ufer ewig unerreichbar blei- ben, das ſchärft den Schmerz. — Wenn mir deine Liebe zu meiner Mutter durchklingt und ich überdenke das ganze, dies zurückhalten dies verbrauſen der Jugend auf tauſend Wegen — es muß ſich ja doch einmal löſen. — Mein Leben: was war's anders als ein tiefer Spie-
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ein Mährchen! ein Mährchen, wenn die Blaſe von der
krauſen Wolle des Tuchs eine Weile gehalten endlich
platzte ſchrieen ſie wieder, das Mährchen platzt. Die
Nachbarsleute in den angränzenden Gärten guckten über
Mauer und Verzäunung und nahmen den lebhafteſten
Antheil an dieſem großen Jubel, ſo daß dies kleine Feſt
am Abend in der ganzen Stadt bekannt war. Die Stadt
hat's vergeſſen, die Mutter hat's behalten und es ſich
ſpäter oft als eine Weiſſagung deiner Zukunft ausgelegt.
Nun lieber Goethe muß ich Dir bekennen daß es
mir das Herz zuſammenſchnürt wenn ich Dir dieſe ein-
zelnen Dinge hinter einander hinſchreibe die mit tauſend
Gedanken zuſammen hängen welche ich Dir weder er-
zählen noch ſonſt deutlich machen kann, denn Du liebſt
Dich nicht wie ich, und Dir muß dies wohl unbedeutend
erſcheinen, während ich keinen Athemzug von Dir ver-
lieren möchte. — Daß vieles ſich nicht verwindet wenn's
einmal empfunden iſt, daß es immer wiederkehrt, iſt
nicht traurig; aber daß die Ufer ewig unerreichbar blei-
ben, das ſchärft den Schmerz. — Wenn mir deine Liebe
zu meiner Mutter durchklingt und ich überdenke das
ganze, dies zurückhalten dies verbrauſen der Jugend auf
tauſend Wegen — es muß ſich ja doch einmal löſen.
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/266>, abgerufen am 25.11.2024.
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