sein, denn sie sagte selbst daß sie in dieser Beziehung sich nie getäuscht habe.
Deine Großmutter kam einst nach Mitternacht in die Schlafstube der Töchter und blieb da bis am Mor- gen, weil ihr etwas begegnet war was sie vor Angst sich nicht zu sagen getraute, am andern Morgen er- zählte sie, daß etwas im Zimmer geraschelt habe wie Papier, in der Meinung das Fenster sei offen und der Wind jage die Papiere von des Vaters Schreibpult im anstoßenden Studierzimmer umher, sei sie aufgestanden aber die Fenster seien geschlossen gewesen. Da sie wie- der im Bett lag, rauschte es immer näher und näher heran mit ängstlichem Zusammenknittern von Papier, endlich seufzte es tief auf, und noch einmal dicht an ihrem Angesicht daß es sie kalt anwehte, darauf ist sie vor Angst zu den Kindern gelaufen; kurz hiernach ließ sich ein Fremder melden da dieser nun auf die Haus- frau zuging und ein ganz zerknittertes Papier ihr dar- reichte wandelte sie eine Ohnmacht an. Ein Freund von ihr der in jener Nacht seinen herannahenden Tod gespürt, hatte nach Papier verlangt, um der Freundin in einer wichtigen Angelegenheit zu schreiben, aber noch ehe er fertig war hatte er vom Todeskrampf ergriffen, das Papier gepackt, zerknittert und damit auf der Bett-
12*
ſein, denn ſie ſagte ſelbſt daß ſie in dieſer Beziehung ſich nie getäuſcht habe.
Deine Großmutter kam einſt nach Mitternacht in die Schlafſtube der Töchter und blieb da bis am Mor- gen, weil ihr etwas begegnet war was ſie vor Angſt ſich nicht zu ſagen getraute, am andern Morgen er- zählte ſie, daß etwas im Zimmer geraſchelt habe wie Papier, in der Meinung das Fenſter ſei offen und der Wind jage die Papiere von des Vaters Schreibpult im anſtoßenden Studierzimmer umher, ſei ſie aufgeſtanden aber die Fenſter ſeien geſchloſſen geweſen. Da ſie wie- der im Bett lag, rauſchte es immer näher und näher heran mit ängſtlichem Zuſammenknittern von Papier, endlich ſeufzte es tief auf, und noch einmal dicht an ihrem Angeſicht daß es ſie kalt anwehte, darauf iſt ſie vor Angſt zu den Kindern gelaufen; kurz hiernach ließ ſich ein Fremder melden da dieſer nun auf die Haus- frau zuging und ein ganz zerknittertes Papier ihr dar- reichte wandelte ſie eine Ohnmacht an. Ein Freund von ihr der in jener Nacht ſeinen herannahenden Tod geſpürt, hatte nach Papier verlangt, um der Freundin in einer wichtigen Angelegenheit zu ſchreiben, aber noch ehe er fertig war hatte er vom Todeskrampf ergriffen, das Papier gepackt, zerknittert und damit auf der Bett-
12*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0277"n="267"/>ſein, denn ſie ſagte ſelbſt daß ſie in dieſer Beziehung<lb/>ſich nie getäuſcht habe.</p><lb/><p>Deine Großmutter kam einſt nach Mitternacht in<lb/>
die Schlafſtube der Töchter und blieb da bis am Mor-<lb/>
gen, weil ihr etwas begegnet war was ſie vor Angſt<lb/>ſich nicht zu ſagen getraute, am andern Morgen er-<lb/>
zählte ſie, daß etwas im Zimmer geraſchelt habe wie<lb/>
Papier, in der Meinung das Fenſter ſei offen und der<lb/>
Wind jage die Papiere von des Vaters Schreibpult im<lb/>
anſtoßenden Studierzimmer umher, ſei ſie aufgeſtanden<lb/>
aber die Fenſter ſeien geſchloſſen geweſen. Da ſie wie-<lb/>
der im Bett lag, rauſchte es immer näher und näher<lb/>
heran mit ängſtlichem Zuſammenknittern von Papier,<lb/>
endlich ſeufzte es tief auf, und noch einmal dicht an<lb/>
ihrem Angeſicht daß es ſie kalt anwehte, darauf iſt ſie<lb/>
vor Angſt zu den Kindern gelaufen; kurz hiernach ließ<lb/>ſich ein Fremder melden da dieſer nun auf die Haus-<lb/>
frau zuging und ein ganz zerknittertes Papier ihr dar-<lb/>
reichte wandelte ſie eine Ohnmacht an. Ein Freund<lb/>
von ihr der in jener Nacht ſeinen herannahenden Tod<lb/>
geſpürt, hatte nach Papier verlangt, um der Freundin<lb/>
in einer wichtigen Angelegenheit zu ſchreiben, aber noch<lb/>
ehe er fertig war hatte er vom Todeskrampf ergriffen,<lb/>
das Papier gepackt, zerknittert und damit auf der Bett-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">12*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[267/0277]
ſein, denn ſie ſagte ſelbſt daß ſie in dieſer Beziehung
ſich nie getäuſcht habe.
Deine Großmutter kam einſt nach Mitternacht in
die Schlafſtube der Töchter und blieb da bis am Mor-
gen, weil ihr etwas begegnet war was ſie vor Angſt
ſich nicht zu ſagen getraute, am andern Morgen er-
zählte ſie, daß etwas im Zimmer geraſchelt habe wie
Papier, in der Meinung das Fenſter ſei offen und der
Wind jage die Papiere von des Vaters Schreibpult im
anſtoßenden Studierzimmer umher, ſei ſie aufgeſtanden
aber die Fenſter ſeien geſchloſſen geweſen. Da ſie wie-
der im Bett lag, rauſchte es immer näher und näher
heran mit ängſtlichem Zuſammenknittern von Papier,
endlich ſeufzte es tief auf, und noch einmal dicht an
ihrem Angeſicht daß es ſie kalt anwehte, darauf iſt ſie
vor Angſt zu den Kindern gelaufen; kurz hiernach ließ
ſich ein Fremder melden da dieſer nun auf die Haus-
frau zuging und ein ganz zerknittertes Papier ihr dar-
reichte wandelte ſie eine Ohnmacht an. Ein Freund
von ihr der in jener Nacht ſeinen herannahenden Tod
geſpürt, hatte nach Papier verlangt, um der Freundin
in einer wichtigen Angelegenheit zu ſchreiben, aber noch
ehe er fertig war hatte er vom Todeskrampf ergriffen,
das Papier gepackt, zerknittert und damit auf der Bett-
12*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/277>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.