Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Er theilt mir aus seiner Herzens- und Lebensgeschichte
merkwürdige Dinge mit, er hat viel aufgeopfert, aber
nichts dabei verloren, im Gegentheil ist sein Charakter
hierdurch frei geworden von der Steifheit, die doch im-
mer mehr oder weniger den Platz freiwilliger Grazie ein-
nimmt, sobald man mit der Welt in einer nicht unwich-
tigen Verbindung ist, wo man sich zum Theil auch
künstlich verwenden muß; er ist so ganz einfach wie ein
Kind, und giebt meinen Launen in meiner Einsamkeit
manche Wendung. Sonntags holt er mich ab in sei-
nem Wagen und liest mir in der königlichen Kapelle
die Messe; die Kirche ist meistens ganz leer, außer ein
paar alten Leuten. Die stille einsame Kirche ist mir
sehr erfreulich, und daß der liebe Freund, von dem ich
so manches weiß was in seinem Herzen bewahrt ist, mir
die Hostie erhebt und den Kelch -- das freut mich. Ach
ich wollt' ich wüßte ihm auf irgend eine Art ersetzt was
ihm genommen ist.

Ach, daß das Entsagen dem Begehren die Waage
hält! -- Endlich wird doch der Geist, der durch Schmer-
zen geläutert ist, über das Alltagsleben hinaus zum
Himmel tanzen.

Und was wär' Weisheit, wenn sie nicht Gewalt
brauchte um sich allein geltend zu machen? -- jedes

Er theilt mir aus ſeiner Herzens- und Lebensgeſchichte
merkwürdige Dinge mit, er hat viel aufgeopfert, aber
nichts dabei verloren, im Gegentheil iſt ſein Charakter
hierdurch frei geworden von der Steifheit, die doch im-
mer mehr oder weniger den Platz freiwilliger Grazie ein-
nimmt, ſobald man mit der Welt in einer nicht unwich-
tigen Verbindung iſt, wo man ſich zum Theil auch
künſtlich verwenden muß; er iſt ſo ganz einfach wie ein
Kind, und giebt meinen Launen in meiner Einſamkeit
manche Wendung. Sonntags holt er mich ab in ſei-
nem Wagen und lieſt mir in der königlichen Kapelle
die Meſſe; die Kirche iſt meiſtens ganz leer, außer ein
paar alten Leuten. Die ſtille einſame Kirche iſt mir
ſehr erfreulich, und daß der liebe Freund, von dem ich
ſo manches weiß was in ſeinem Herzen bewahrt iſt, mir
die Hoſtie erhebt und den Kelch — das freut mich. Ach
ich wollt' ich wüßte ihm auf irgend eine Art erſetzt was
ihm genommen iſt.

Ach, daß das Entſagen dem Begehren die Waage
hält! — Endlich wird doch der Geiſt, der durch Schmer-
zen geläutert iſt, über das Alltagsleben hinaus zum
Himmel tanzen.

Und was wär' Weisheit, wenn ſie nicht Gewalt
brauchte um ſich allein geltend zu machen? — jedes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0042" n="32"/>
Er theilt mir aus &#x017F;einer Herzens- und Lebensge&#x017F;chichte<lb/>
merkwürdige Dinge mit, er hat viel aufgeopfert, aber<lb/>
nichts dabei verloren, im Gegentheil i&#x017F;t &#x017F;ein Charakter<lb/>
hierdurch frei geworden von der Steifheit, die doch im-<lb/>
mer mehr oder weniger den Platz freiwilliger Grazie ein-<lb/>
nimmt, &#x017F;obald man mit der Welt in einer nicht unwich-<lb/>
tigen Verbindung i&#x017F;t, wo man &#x017F;ich zum Theil auch<lb/>
kün&#x017F;tlich verwenden muß; er i&#x017F;t &#x017F;o ganz einfach wie ein<lb/>
Kind, und giebt meinen Launen in meiner Ein&#x017F;amkeit<lb/>
manche Wendung. Sonntags holt er mich ab in &#x017F;ei-<lb/>
nem Wagen und lie&#x017F;t mir in der königlichen Kapelle<lb/>
die Me&#x017F;&#x017F;e; die Kirche i&#x017F;t mei&#x017F;tens ganz leer, außer ein<lb/>
paar alten Leuten. Die &#x017F;tille ein&#x017F;ame Kirche i&#x017F;t mir<lb/>
&#x017F;ehr erfreulich, und daß der liebe Freund, von dem ich<lb/>
&#x017F;o manches weiß was in &#x017F;einem Herzen bewahrt i&#x017F;t, mir<lb/>
die Ho&#x017F;tie erhebt und den Kelch &#x2014; das freut mich. Ach<lb/>
ich wollt' ich wüßte ihm auf irgend eine Art er&#x017F;etzt was<lb/>
ihm genommen i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Ach, daß das Ent&#x017F;agen dem Begehren die Waage<lb/>
hält! &#x2014; Endlich wird doch der Gei&#x017F;t, der durch Schmer-<lb/>
zen geläutert i&#x017F;t, über das Alltagsleben hinaus zum<lb/>
Himmel tanzen.</p><lb/>
          <p>Und was wär' Weisheit, wenn &#x017F;ie nicht Gewalt<lb/>
brauchte um &#x017F;ich allein geltend zu machen? &#x2014; jedes<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0042] Er theilt mir aus ſeiner Herzens- und Lebensgeſchichte merkwürdige Dinge mit, er hat viel aufgeopfert, aber nichts dabei verloren, im Gegentheil iſt ſein Charakter hierdurch frei geworden von der Steifheit, die doch im- mer mehr oder weniger den Platz freiwilliger Grazie ein- nimmt, ſobald man mit der Welt in einer nicht unwich- tigen Verbindung iſt, wo man ſich zum Theil auch künſtlich verwenden muß; er iſt ſo ganz einfach wie ein Kind, und giebt meinen Launen in meiner Einſamkeit manche Wendung. Sonntags holt er mich ab in ſei- nem Wagen und lieſt mir in der königlichen Kapelle die Meſſe; die Kirche iſt meiſtens ganz leer, außer ein paar alten Leuten. Die ſtille einſame Kirche iſt mir ſehr erfreulich, und daß der liebe Freund, von dem ich ſo manches weiß was in ſeinem Herzen bewahrt iſt, mir die Hoſtie erhebt und den Kelch — das freut mich. Ach ich wollt' ich wüßte ihm auf irgend eine Art erſetzt was ihm genommen iſt. Ach, daß das Entſagen dem Begehren die Waage hält! — Endlich wird doch der Geiſt, der durch Schmer- zen geläutert iſt, über das Alltagsleben hinaus zum Himmel tanzen. Und was wär' Weisheit, wenn ſie nicht Gewalt brauchte um ſich allein geltend zu machen? — jedes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/42
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/42>, abgerufen am 23.11.2024.