Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

er entgehen und sein Herz der Tugend weihen, die keine
Jugend hat, sondern eine gräuliche Larve, so daß man
vor ihr Reißaus nehmen möchte; la belle et la bete,
la bete
ist die Tugend und la belle ist die Jugend, die
sich von ihr soll fressen lassen; da ist's denn kein Wun-
der, wenn die Jugend vor der Tugend Reißaus nimmt,
und man kann ohne geheime partheiliche Wünsche nicht
Zeuge von diesem Wettrennen sein. -- Armer Kronprinz!
Ich bin ihm gut, weil er mit so schönem Willen hin-
übergeht zu meinen Tyrolern, und wenn er auch nichts
thut als der Grausamkeit wehrt, ich verlasse mich
auf ihn.

Gestern bin ich zum erstenmal wieder eine Strecke
weit in's Freie gelaufen, mit einem kapriziösen Liebha-
ber der Wissenschaften und Künste, mit einem sehr gu-
ten, gehorsamen Kinde seiner eignen Launen, eine warme
lebendige Natur, breit und schmal, wie Du ihn willst,
dreht sich schwindellos über einem Abgrund herum, steigt
mit Vergnügen auf die kahlen Spitzen der Alpen, um
nach Belieben in den Ocean oder in's mittelländische
Meer zu speien, macht übrigens wenig Lärm. Wenn
Du ihn je siehst und nach dieser Beschreibung erkennst.
so ruf ihm nur Rumohr, ich vermuthe, er wird sich nach
Dir umsehen. -- Mit diesem also hat meine unbefangne

er entgehen und ſein Herz der Tugend weihen, die keine
Jugend hat, ſondern eine gräuliche Larve, ſo daß man
vor ihr Reißaus nehmen möchte; la belle et la bête,
la bête
iſt die Tugend und la belle iſt die Jugend, die
ſich von ihr ſoll freſſen laſſen; da iſt's denn kein Wun-
der, wenn die Jugend vor der Tugend Reißaus nimmt,
und man kann ohne geheime partheiliche Wünſche nicht
Zeuge von dieſem Wettrennen ſein. — Armer Kronprinz!
Ich bin ihm gut, weil er mit ſo ſchönem Willen hin-
übergeht zu meinen Tyrolern, und wenn er auch nichts
thut als der Grauſamkeit wehrt, ich verlaſſe mich
auf ihn.

Geſtern bin ich zum erſtenmal wieder eine Strecke
weit in's Freie gelaufen, mit einem kapriziöſen Liebha-
ber der Wiſſenſchaften und Künſte, mit einem ſehr gu-
ten, gehorſamen Kinde ſeiner eignen Launen, eine warme
lebendige Natur, breit und ſchmal, wie Du ihn willſt,
dreht ſich ſchwindellos über einem Abgrund herum, ſteigt
mit Vergnügen auf die kahlen Spitzen der Alpen, um
nach Belieben in den Ocean oder in's mittelländiſche
Meer zu ſpeien, macht übrigens wenig Lärm. Wenn
Du ihn je ſiehſt und nach dieſer Beſchreibung erkennſt.
ſo ruf ihm nur Rumohr, ich vermuthe, er wird ſich nach
Dir umſehen. — Mit dieſem alſo hat meine unbefangne

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0070" n="60"/>
er entgehen und &#x017F;ein Herz der Tugend weihen, die keine<lb/>
Jugend hat, &#x017F;ondern eine gräuliche Larve, &#x017F;o daß man<lb/>
vor ihr Reißaus nehmen möchte; <hi rendition="#aq">la belle et la bête,<lb/>
la bête</hi> i&#x017F;t die Tugend und <hi rendition="#aq">la belle</hi> i&#x017F;t die Jugend, die<lb/>
&#x017F;ich von ihr &#x017F;oll fre&#x017F;&#x017F;en la&#x017F;&#x017F;en; da i&#x017F;t's denn kein Wun-<lb/>
der, wenn die Jugend vor der Tugend Reißaus nimmt,<lb/>
und man kann ohne geheime partheiliche Wün&#x017F;che nicht<lb/>
Zeuge von die&#x017F;em Wettrennen &#x017F;ein. &#x2014; Armer Kronprinz!<lb/>
Ich bin ihm gut, weil er mit &#x017F;o &#x017F;chönem Willen hin-<lb/>
übergeht zu meinen Tyrolern, und wenn er auch nichts<lb/>
thut als der Grau&#x017F;amkeit wehrt, ich verla&#x017F;&#x017F;e mich<lb/>
auf ihn.</p><lb/>
          <p>Ge&#x017F;tern bin ich zum er&#x017F;tenmal wieder eine Strecke<lb/>
weit in's Freie gelaufen, mit einem kapriziö&#x017F;en Liebha-<lb/>
ber der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften und Kün&#x017F;te, mit einem &#x017F;ehr gu-<lb/>
ten, gehor&#x017F;amen Kinde &#x017F;einer eignen Launen, eine warme<lb/>
lebendige Natur, breit und &#x017F;chmal, wie Du ihn will&#x017F;t,<lb/>
dreht &#x017F;ich &#x017F;chwindellos über einem Abgrund herum, &#x017F;teigt<lb/>
mit Vergnügen auf die kahlen Spitzen der Alpen, um<lb/>
nach Belieben in den Ocean oder in's mittelländi&#x017F;che<lb/>
Meer zu &#x017F;peien, macht übrigens wenig Lärm. Wenn<lb/>
Du ihn je &#x017F;ieh&#x017F;t und nach die&#x017F;er Be&#x017F;chreibung erkenn&#x017F;t.<lb/>
&#x017F;o ruf ihm nur Rumohr, ich vermuthe, er wird &#x017F;ich nach<lb/>
Dir um&#x017F;ehen. &#x2014; Mit die&#x017F;em al&#x017F;o hat meine unbefangne<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0070] er entgehen und ſein Herz der Tugend weihen, die keine Jugend hat, ſondern eine gräuliche Larve, ſo daß man vor ihr Reißaus nehmen möchte; la belle et la bête, la bête iſt die Tugend und la belle iſt die Jugend, die ſich von ihr ſoll freſſen laſſen; da iſt's denn kein Wun- der, wenn die Jugend vor der Tugend Reißaus nimmt, und man kann ohne geheime partheiliche Wünſche nicht Zeuge von dieſem Wettrennen ſein. — Armer Kronprinz! Ich bin ihm gut, weil er mit ſo ſchönem Willen hin- übergeht zu meinen Tyrolern, und wenn er auch nichts thut als der Grauſamkeit wehrt, ich verlaſſe mich auf ihn. Geſtern bin ich zum erſtenmal wieder eine Strecke weit in's Freie gelaufen, mit einem kapriziöſen Liebha- ber der Wiſſenſchaften und Künſte, mit einem ſehr gu- ten, gehorſamen Kinde ſeiner eignen Launen, eine warme lebendige Natur, breit und ſchmal, wie Du ihn willſt, dreht ſich ſchwindellos über einem Abgrund herum, ſteigt mit Vergnügen auf die kahlen Spitzen der Alpen, um nach Belieben in den Ocean oder in's mittelländiſche Meer zu ſpeien, macht übrigens wenig Lärm. Wenn Du ihn je ſiehſt und nach dieſer Beſchreibung erkennſt. ſo ruf ihm nur Rumohr, ich vermuthe, er wird ſich nach Dir umſehen. — Mit dieſem alſo hat meine unbefangne

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/70
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/70>, abgerufen am 24.11.2024.