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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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Selbstbeherrschung ist, wenn Deinem Genius die
Macht über Deinen Geist gegeben ist, die der Liebende
dem Geliebten über sich einräumt.

Mancher will sich selbst beherrschen, daran scheitert
jeder Witz, jede List, jede Ausdauer, er muß sich selbst
beherrschen lassen durch seinen Genius, durch seine ide-
alische Natur.

Du kannst den Geist nicht erzeugen, Du kannst ihn
nur empfangen.

Du berührst Dich mit dem Geliebten in allem, was
Du erhaben über Dich fühlst.

Du bist im Geheimniß der Liebe mit ihm, in al-
lem, was Dich begeistert.

Nichts soll Dich trennen von diesem göttlichen Selbst,
alles, was eine Kluft zwischen Dir und dem Genius bil-
det, ist Sünde.

Nichts ist Sünde, was mit ihm nicht entzweit, je-
der Scherz, jeder Muthwill', jede Kühnheit ist durch ihn
sanctionirt, er ist die göttliche Freiheit in uns.

Wer sich durch die Äußerung dieser göttlichen Frei-
heit beleidigt fühlt, der lebt nicht in seinem Genius,
dessen Weisheit ist nicht Inspiration, sie ist After-
weisheit.

Die Erkenntniß des Bösen ist ein Abwenden aus

Selbſtbeherrſchung iſt, wenn Deinem Genius die
Macht über Deinen Geiſt gegeben iſt, die der Liebende
dem Geliebten über ſich einräumt.

Mancher will ſich ſelbſt beherrſchen, daran ſcheitert
jeder Witz, jede Liſt, jede Ausdauer, er muß ſich ſelbſt
beherrſchen laſſen durch ſeinen Genius, durch ſeine ide-
aliſche Natur.

Du kannſt den Geiſt nicht erzeugen, Du kannſt ihn
nur empfangen.

Du berührſt Dich mit dem Geliebten in allem, was
Du erhaben über Dich fühlſt.

Du biſt im Geheimniß der Liebe mit ihm, in al-
lem, was Dich begeiſtert.

Nichts ſoll Dich trennen von dieſem göttlichen Selbſt,
alles, was eine Kluft zwiſchen Dir und dem Genius bil-
det, iſt Sünde.

Nichts iſt Sünde, was mit ihm nicht entzweit, je-
der Scherz, jeder Muthwill', jede Kühnheit iſt durch ihn
ſanctionirt, er iſt die göttliche Freiheit in uns.

Wer ſich durch die Äußerung dieſer göttlichen Frei-
heit beleidigt fühlt, der lebt nicht in ſeinem Genius,
deſſen Weisheit iſt nicht Inſpiration, ſie iſt After-
weisheit.

Die Erkenntniß des Böſen iſt ein Abwenden aus

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[107/0117] Selbſtbeherrſchung iſt, wenn Deinem Genius die Macht über Deinen Geiſt gegeben iſt, die der Liebende dem Geliebten über ſich einräumt. Mancher will ſich ſelbſt beherrſchen, daran ſcheitert jeder Witz, jede Liſt, jede Ausdauer, er muß ſich ſelbſt beherrſchen laſſen durch ſeinen Genius, durch ſeine ide- aliſche Natur. Du kannſt den Geiſt nicht erzeugen, Du kannſt ihn nur empfangen. Du berührſt Dich mit dem Geliebten in allem, was Du erhaben über Dich fühlſt. Du biſt im Geheimniß der Liebe mit ihm, in al- lem, was Dich begeiſtert. Nichts ſoll Dich trennen von dieſem göttlichen Selbſt, alles, was eine Kluft zwiſchen Dir und dem Genius bil- det, iſt Sünde. Nichts iſt Sünde, was mit ihm nicht entzweit, je- der Scherz, jeder Muthwill', jede Kühnheit iſt durch ihn ſanctionirt, er iſt die göttliche Freiheit in uns. Wer ſich durch die Äußerung dieſer göttlichen Frei- heit beleidigt fühlt, der lebt nicht in ſeinem Genius, deſſen Weisheit iſt nicht Inſpiration, ſie iſt After- weisheit. Die Erkenntniß des Böſen iſt ein Abwenden aus

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/117>, abgerufen am 27.11.2024.