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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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fassen einer Welt? -- Drum: -- die Weisheit ist Liebe!
und ihre Früchte sind Welten, und der täuscht sich nicht,
der im Kuß eine Welt empfindet, ihm ist eine reife
Frucht, ein an dem Lichte der Weisheit gereifter Stern
in den Busen gesunken. -- Der aber Freund! -- der
von solcher Himmelskost genährt wird, zählt er noch
für vollgültig unter den Menschen? --

Ich gehe nun schlafen, die Stille der Nacht, die
heimliche Zeit verwendet Psyche um zu Dir zu dringen.
Oft führt sie der Traum zu Dir, sie findet Dich viel-
leicht, durchkreuzt von tausend Gedanken, deren keiner
ihrer erwähnt. Doch sie senkt die Flügel und küßt den
Staub Deiner Füße bis Dein Blick sich ihr neigt.


Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!
Hinab in's Thal, mit Rasen sanft begleitet,
Vom Weg durchzogen, der hinüber leitet,
Das weiße Haus inmitten aufgestellt,
Was ist's worin sich hier der Sinn gefällt? --
Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!
Erstieg ich auch der Länder steilste Höhen,
Von wo ich könnt' die Schiffe fahren sehen
Und Städte fern und nah von Bergen stolz umstellt,
Nichts ist's was mir den Blick gefesselt hält.

faſſen einer Welt? — Drum: — die Weisheit iſt Liebe!
und ihre Früchte ſind Welten, und der täuſcht ſich nicht,
der im Kuß eine Welt empfindet, ihm iſt eine reife
Frucht, ein an dem Lichte der Weisheit gereifter Stern
in den Buſen geſunken. — Der aber Freund! — der
von ſolcher Himmelskoſt genährt wird, zählt er noch
für vollgültig unter den Menſchen? —

Ich gehe nun ſchlafen, die Stille der Nacht, die
heimliche Zeit verwendet Pſyche um zu Dir zu dringen.
Oft führt ſie der Traum zu Dir, ſie findet Dich viel-
leicht, durchkreuzt von tauſend Gedanken, deren keiner
ihrer erwähnt. Doch ſie ſenkt die Flügel und küßt den
Staub Deiner Füße bis Dein Blick ſich ihr neigt.


Auf dieſem Hügel überſeh ich meine Welt!
Hinab in's Thal, mit Raſen ſanft begleitet,
Vom Weg durchzogen, der hinüber leitet,
Das weiße Haus inmitten aufgeſtellt,
Was iſt's worin ſich hier der Sinn gefällt? —
Auf dieſem Hügel überſeh ich meine Welt!
Erſtieg ich auch der Länder ſteilſte Höhen,
Von wo ich könnt' die Schiffe fahren ſehen
Und Städte fern und nah von Bergen ſtolz umſtellt,
Nichts iſt's was mir den Blick gefeſſelt hält.
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[190/0200] faſſen einer Welt? — Drum: — die Weisheit iſt Liebe! und ihre Früchte ſind Welten, und der täuſcht ſich nicht, der im Kuß eine Welt empfindet, ihm iſt eine reife Frucht, ein an dem Lichte der Weisheit gereifter Stern in den Buſen geſunken. — Der aber Freund! — der von ſolcher Himmelskoſt genährt wird, zählt er noch für vollgültig unter den Menſchen? — Ich gehe nun ſchlafen, die Stille der Nacht, die heimliche Zeit verwendet Pſyche um zu Dir zu dringen. Oft führt ſie der Traum zu Dir, ſie findet Dich viel- leicht, durchkreuzt von tauſend Gedanken, deren keiner ihrer erwähnt. Doch ſie ſenkt die Flügel und küßt den Staub Deiner Füße bis Dein Blick ſich ihr neigt. Auf dieſem Hügel überſeh ich meine Welt! Hinab in's Thal, mit Raſen ſanft begleitet, Vom Weg durchzogen, der hinüber leitet, Das weiße Haus inmitten aufgeſtellt, Was iſt's worin ſich hier der Sinn gefällt? — Auf dieſem Hügel überſeh ich meine Welt! Erſtieg ich auch der Länder ſteilſte Höhen, Von wo ich könnt' die Schiffe fahren ſehen Und Städte fern und nah von Bergen ſtolz umſtellt, Nichts iſt's was mir den Blick gefeſſelt hält.

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/200>, abgerufen am 12.05.2024.