ich so selig war, wie freute es Dich, daß Du mich hat- test, über Dir schwebend mich trugst, wie freute ich mich, und dann schwang ich mich hinüber auf die rechte Schul- ter um die linke nicht zu ermüden. Du ließt mich durch die erleuchteten Fenster sehen, eine Reihe friedlicher Abende von Alt und Jung, bei Lampenschein oder bei hellem Kü- chenfeuer, auch der kleine Hund und das Kätzchen waren da- bei. Du sagtest: "ist das nicht eine allerliebste Bildergal- lerie?" -- so kamen wir von einer Wohnung zur andern aus den finstern Straßen hervor unter die hohen Bäume, ich reichte an die Äste, da rauschten die Vögel auf, da freuten wir uns, wir beide! -- Kinder ich und Du. Und nun? -- Du ein Geist aufgefahren zu den Him- meln, und ich? -- unerleuchtet, unerfüllt, unerwartet, unverstanden, ungeliebt, ja sie könnten mich fragen: wer bist du und was willst du? und wenn ich Ant- wort gäbe würden sie sagen: wir verstehen dich nicht. Du aber erkanntest mich und öffnetest mir die Arme und das Herz und jede Frage war gelöst und jeder Schmerz beschwichtigt. -- Dort im Park zu Weimar gingen wir Hand in Hand unter den dichtbelaubten Bäumen, das Mondlicht fiel ein, Du gabst mir viele süße Namen, es klingt noch in meinen Ohren: lieb Herz! mein artig Kind! wie war ich erfreut zu wissen
ich ſo ſelig war, wie freute es Dich, daß Du mich hat- teſt, über Dir ſchwebend mich trugſt, wie freute ich mich, und dann ſchwang ich mich hinüber auf die rechte Schul- ter um die linke nicht zu ermüden. Du ließt mich durch die erleuchteten Fenſter ſehen, eine Reihe friedlicher Abende von Alt und Jung, bei Lampenſchein oder bei hellem Kü- chenfeuer, auch der kleine Hund und das Kätzchen waren da- bei. Du ſagteſt: „iſt das nicht eine allerliebſte Bildergal- lerie?“ — ſo kamen wir von einer Wohnung zur andern aus den finſtern Straßen hervor unter die hohen Bäume, ich reichte an die Äſte, da rauſchten die Vögel auf, da freuten wir uns, wir beide! — Kinder ich und Du. Und nun? — Du ein Geiſt aufgefahren zu den Him- meln, und ich? — unerleuchtet, unerfüllt, unerwartet, unverſtanden, ungeliebt, ja ſie könnten mich fragen: wer biſt du und was willſt du? und wenn ich Ant- wort gäbe würden ſie ſagen: wir verſtehen dich nicht. Du aber erkannteſt mich und öffneteſt mir die Arme und das Herz und jede Frage war gelöſt und jeder Schmerz beſchwichtigt. — Dort im Park zu Weimar gingen wir Hand in Hand unter den dichtbelaubten Bäumen, das Mondlicht fiel ein, Du gabſt mir viele ſüße Namen, es klingt noch in meinen Ohren: lieb Herz! mein artig Kind! wie war ich erfreut zu wiſſen
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ich ſo ſelig war, wie freute es Dich, daß Du mich hat-
teſt, über Dir ſchwebend mich trugſt, wie freute ich mich,
und dann ſchwang ich mich hinüber auf die rechte Schul-
ter um die linke nicht zu ermüden. Du ließt mich durch die
erleuchteten Fenſter ſehen, eine Reihe friedlicher Abende
von Alt und Jung, bei Lampenſchein oder bei hellem Kü-
chenfeuer, auch der kleine Hund und das Kätzchen waren da-
bei. Du ſagteſt: „iſt das nicht eine allerliebſte Bildergal-
lerie?“ — ſo kamen wir von einer Wohnung zur andern
aus den finſtern Straßen hervor unter die hohen Bäume,
ich reichte an die Äſte, da rauſchten die Vögel auf,
da freuten wir uns, wir beide! — Kinder ich und Du.
Und nun? — Du ein Geiſt aufgefahren zu den Him-
meln, und ich? — unerleuchtet, unerfüllt, unerwartet,
unverſtanden, ungeliebt, ja ſie könnten mich fragen:
wer biſt du und was willſt du? und wenn ich Ant-
wort gäbe würden ſie ſagen: wir verſtehen dich nicht.
Du aber erkannteſt mich und öffneteſt mir die Arme
und das Herz und jede Frage war gelöſt und jeder
Schmerz beſchwichtigt. — Dort im Park zu Weimar
gingen wir Hand in Hand unter den dichtbelaubten
Bäumen, das Mondlicht fiel ein, Du gabſt mir viele
ſüße Namen, es klingt noch in meinen Ohren: lieb
Herz! mein artig Kind! wie war ich erfreut zu wiſſen
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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/224>, abgerufen am 10.05.2024.
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