Heute haben wir grünen Donnerstag, da hab' ich kleiner Tempeldiener viel zu thun; alle Blumen, die das frühe Jahr uns gönnt, werden abgemäht, Schnee- glöckchen, Krokus, Maaslieb und das ganze Feld voll Hyazinthen schmücken den weißen Altar, und dann bring' ich die Chorhemdchen und zwölf Kinder mit auf- gelösten Haaren werden damit bekleidet; sie stellen die Apostel vor. Nachdem wir mit brennenden blumenge- schmückten Kerzen den Altar umwandelt haben, lassen wir uns im Halbkreis nieder, und die alte Äbtissin mit ihrem hohen Stab von Silber, umwallt vom Schleier und langem, schleppendem Chormantel knieet vor uns, um uns die Füße zu waschen. Eine Nonne hält das silberne Becken, und gießt das Wasser ein, die andre reicht die Linnen zum Abtrocknen; indessen läutet es mit allen Glocken, die Orgel ertönt, zwei Nonnen spie- len die Violine, eine den Baß, zwei blasen die Posaune, eine wirbelt auf den Pauken, alle übrigen stimmen mit hohen Tönen die Litanei an: "Sanct Petrus, wir grü- ßen dich -- du bist der Fels auf den die Kirche baut." Dann geht es zum Paulus, und so die Reihe durch werden alle Apostel begrüßt, bis alle Füße gewaschen sind. -- Nun siehst Du, das ist ein Tag, auf dem wir
Heute haben wir grünen Donnerstag, da hab' ich kleiner Tempeldiener viel zu thun; alle Blumen, die das frühe Jahr uns gönnt, werden abgemäht, Schnee- glöckchen, Krokus, Maaslieb und das ganze Feld voll Hyazinthen ſchmücken den weißen Altar, und dann bring' ich die Chorhemdchen und zwölf Kinder mit auf- gelöſten Haaren werden damit bekleidet; ſie ſtellen die Apoſtel vor. Nachdem wir mit brennenden blumenge- ſchmückten Kerzen den Altar umwandelt haben, laſſen wir uns im Halbkreis nieder, und die alte Äbtiſſin mit ihrem hohen Stab von Silber, umwallt vom Schleier und langem, ſchleppendem Chormantel knieet vor uns, um uns die Füße zu waſchen. Eine Nonne hält das ſilberne Becken, und gießt das Waſſer ein, die andre reicht die Linnen zum Abtrocknen; indeſſen läutet es mit allen Glocken, die Orgel ertönt, zwei Nonnen ſpie- len die Violine, eine den Baß, zwei blaſen die Poſaune, eine wirbelt auf den Pauken, alle übrigen ſtimmen mit hohen Tönen die Litanei an: „Sanct Petrus, wir grü- ßen dich — du biſt der Fels auf den die Kirche baut.“ Dann geht es zum Paulus, und ſo die Reihe durch werden alle Apoſtel begrüßt, bis alle Füße gewaſchen ſind. — Nun ſiehſt Du, das iſt ein Tag, auf dem wir
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Heute haben wir grünen Donnerstag, da hab' ich
kleiner Tempeldiener viel zu thun; alle Blumen, die
das frühe Jahr uns gönnt, werden abgemäht, Schnee-
glöckchen, Krokus, Maaslieb und das ganze Feld voll
Hyazinthen ſchmücken den weißen Altar, und dann
bring' ich die Chorhemdchen und zwölf Kinder mit auf-
gelöſten Haaren werden damit bekleidet; ſie ſtellen die
Apoſtel vor. Nachdem wir mit brennenden blumenge-
ſchmückten Kerzen den Altar umwandelt haben, laſſen
wir uns im Halbkreis nieder, und die alte Äbtiſſin mit
ihrem hohen Stab von Silber, umwallt vom Schleier
und langem, ſchleppendem Chormantel knieet vor uns,
um uns die Füße zu waſchen. Eine Nonne hält das
ſilberne Becken, und gießt das Waſſer ein, die andre
reicht die Linnen zum Abtrocknen; indeſſen läutet es
mit allen Glocken, die Orgel ertönt, zwei Nonnen ſpie-
len die Violine, eine den Baß, zwei blaſen die Poſaune,
eine wirbelt auf den Pauken, alle übrigen ſtimmen mit
hohen Tönen die Litanei an: „Sanct Petrus, wir grü-
ßen dich — du biſt der Fels auf den die Kirche baut.“
Dann geht es zum Paulus, und ſo die Reihe durch
werden alle Apoſtel begrüßt, bis alle Füße gewaſchen
ſind. — Nun ſiehſt Du, das iſt ein Tag, auf dem wir
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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/72>, abgerufen am 24.11.2024.
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