[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.Guitarre mir nachgezogen hatte, es war schwül, nun Guitarre mir nachgezogen hatte, es war ſchwül, nun <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0094" n="84"/> Guitarre mir nachgezogen hatte, es war ſchwül, nun<lb/> regten ſich die Lüfte ſtärker und trieben ein Heer von<lb/> Wolken über uns zuſammen. — Die Roſenhecke wurde<lb/> hochgehoben vom Wind und wieder niedergebeugt, aber<lb/> der Vogel ſaß feſt; je brauſender der Sturm, je ſchmet-<lb/> ternder ihr Geſang, die kleine Kehle ſtrömte jubelnd ihr<lb/> ganzes Leben in die aufgeregte Natur, der fallende Re-<lb/> gen behinderte ſie nicht, die brauſenden Bäume, der<lb/> Donner übertäubte und ſchreckte ſie nicht, und ich auch<lb/> auf meiner ſchlanken Pappel wogte im Sturmwind nie-<lb/> der auf die Roſenhecke, wenn ſie ſich hob, und ſtreifte<lb/> über die Saiten, um den Jubel der kleinen Sängerin<lb/> durch den Takt zu mäßigen. Wie ſtill war's nach dem<lb/> Gewitter! welche heilige Ruhe folgte dieſer Begeiſtrung<lb/> im Sturm! mit ihr breitete die Dämmerung ſich über die<lb/> weiten Gefilde, meine kleine Sängerin ſchwieg, ſie war<lb/> müde geworden. Ach, wenn der Genius aufleuchtet in<lb/> uns, und unſere geſammten Kräfte aufregt, daß ſie ihm<lb/> dienen, wenn der ganze Menſch nichts mehr iſt, als nur<lb/> dienend dem Gewaltigen, dem Höheren als er ſelbſt,<lb/> und die Ruhe folgt auf ſolche Anſtrengung, wie mild<lb/> iſt es da, wie ſind da alle Anſprüche, ſelbſt etwas zu<lb/> ſein, aufgelöſt in Hingebung an den Genius! So iſt<lb/> Natur, wenn ſie ruht vom Tagwerk: ſie ſchläft, und<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [84/0094]
Guitarre mir nachgezogen hatte, es war ſchwül, nun
regten ſich die Lüfte ſtärker und trieben ein Heer von
Wolken über uns zuſammen. — Die Roſenhecke wurde
hochgehoben vom Wind und wieder niedergebeugt, aber
der Vogel ſaß feſt; je brauſender der Sturm, je ſchmet-
ternder ihr Geſang, die kleine Kehle ſtrömte jubelnd ihr
ganzes Leben in die aufgeregte Natur, der fallende Re-
gen behinderte ſie nicht, die brauſenden Bäume, der
Donner übertäubte und ſchreckte ſie nicht, und ich auch
auf meiner ſchlanken Pappel wogte im Sturmwind nie-
der auf die Roſenhecke, wenn ſie ſich hob, und ſtreifte
über die Saiten, um den Jubel der kleinen Sängerin
durch den Takt zu mäßigen. Wie ſtill war's nach dem
Gewitter! welche heilige Ruhe folgte dieſer Begeiſtrung
im Sturm! mit ihr breitete die Dämmerung ſich über die
weiten Gefilde, meine kleine Sängerin ſchwieg, ſie war
müde geworden. Ach, wenn der Genius aufleuchtet in
uns, und unſere geſammten Kräfte aufregt, daß ſie ihm
dienen, wenn der ganze Menſch nichts mehr iſt, als nur
dienend dem Gewaltigen, dem Höheren als er ſelbſt,
und die Ruhe folgt auf ſolche Anſtrengung, wie mild
iſt es da, wie ſind da alle Anſprüche, ſelbſt etwas zu
ſein, aufgelöſt in Hingebung an den Genius! So iſt
Natur, wenn ſie ruht vom Tagwerk: ſie ſchläft, und
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