Den Kanarienvogel schenk ich Dir, Du sollst ihn behalten, er hat Dich lieber wie mich, und ich bin ihm gut, was soll ich ihm seine eingesperrte Lebensfreud verketzern. Ich bin aber kein Kanarienvogel und Du kannst mich nicht hingeben wollen, denn ich schenk Dir alles, Du sollst mich nicht hergeben. -- Meine Altan ist doch schön, nicht wahr? -- als Kinder hat uns da der Herr Schwab die biblische Geschichten vorerzählt, Abends, eh wir zu Bett gingen, da hab' ich den Mond zum erstenmal scheinen sehen. Wie wunderlich wars doch, und die Fenster von den Stuben nebenan, wenn da Abends Licht drinn war, die malten den Schatten von den Sträuchern auf den Boden, da saß ich so gern allein auf dem Boden und sah den Schatten rund um mich sich bewegen. Ich hab mich wohl immer gefürch¬ tet als Kind, aber mehr bei Tag, wenn ich allein war, und im Zimmer, wo alles so nüchtern aussah, aber in der Nacht war was vertrauliches, was mich lockte, und noch eh ich was von Geistern gehört hatte, war die Empfindung in mir, daß etwas Lebendiges in der Um¬ gebung sei, dessen Schutz ich vertraute; so war mirs auf der Altan als Kind von drei oder vier Jahren, wo beim Sonnenuntergang immer alle Glocken den Tod
Am Samſtag —
Den Kanarienvogel ſchenk ich Dir, Du ſollſt ihn behalten, er hat Dich lieber wie mich, und ich bin ihm gut, was ſoll ich ihm ſeine eingeſperrte Lebensfreud verketzern. Ich bin aber kein Kanarienvogel und Du kannſt mich nicht hingeben wollen, denn ich ſchenk Dir alles, Du ſollſt mich nicht hergeben. — Meine Altan iſt doch ſchön, nicht wahr? — als Kinder hat uns da der Herr Schwab die bibliſche Geſchichten vorerzählt, Abends, eh wir zu Bett gingen, da hab' ich den Mond zum erſtenmal ſcheinen ſehen. Wie wunderlich wars doch, und die Fenſter von den Stuben nebenan, wenn da Abends Licht drinn war, die malten den Schatten von den Sträuchern auf den Boden, da ſaß ich ſo gern allein auf dem Boden und ſah den Schatten rund um mich ſich bewegen. Ich hab mich wohl immer gefürch¬ tet als Kind, aber mehr bei Tag, wenn ich allein war, und im Zimmer, wo alles ſo nüchtern ausſah, aber in der Nacht war was vertrauliches, was mich lockte, und noch eh ich was von Geiſtern gehört hatte, war die Empfindung in mir, daß etwas Lebendiges in der Um¬ gebung ſei, deſſen Schutz ich vertraute; ſo war mirs auf der Altan als Kind von drei oder vier Jahren, wo beim Sonnenuntergang immer alle Glocken den Tod
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Am Samſtag —
Den Kanarienvogel ſchenk ich Dir, Du ſollſt ihn
behalten, er hat Dich lieber wie mich, und ich bin ihm
gut, was ſoll ich ihm ſeine eingeſperrte Lebensfreud
verketzern. Ich bin aber kein Kanarienvogel und Du
kannſt mich nicht hingeben wollen, denn ich ſchenk Dir
alles, Du ſollſt mich nicht hergeben. — Meine Altan
iſt doch ſchön, nicht wahr? — als Kinder hat uns da
der Herr Schwab die bibliſche Geſchichten vorerzählt,
Abends, eh wir zu Bett gingen, da hab' ich den Mond
zum erſtenmal ſcheinen ſehen. Wie wunderlich wars
doch, und die Fenſter von den Stuben nebenan, wenn
da Abends Licht drinn war, die malten den Schatten
von den Sträuchern auf den Boden, da ſaß ich ſo gern
allein auf dem Boden und ſah den Schatten rund um
mich ſich bewegen. Ich hab mich wohl immer gefürch¬
tet als Kind, aber mehr bei Tag, wenn ich allein war,
und im Zimmer, wo alles ſo nüchtern ausſah, aber in
der Nacht war was vertrauliches, was mich lockte, und
noch eh ich was von Geiſtern gehört hatte, war die
Empfindung in mir, daß etwas Lebendiges in der Um¬
gebung ſei, deſſen Schutz ich vertraute; ſo war mirs
auf der Altan als Kind von drei oder vier Jahren,
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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/143>, abgerufen am 29.11.2024.
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