drum konnten wir sie in der Ferne nicht sehen; wir ruhten gelassen ein Weilchen, und da war es so groß um uns her, und das that so wohl, und dann ward es heller, der Mond mußte bald kommen, da wußten wir, daß es um elf Uhr war. -- Jetzt sah die Tonie einen Ort für ganz gewiß, sie sah das Kirchdach deut¬ lich glänzen, wir schlenderten, rutschten, kletterten und kamen in die Ebene. Die Tonie behielt das Kirchdach im Aug, ich war zu kurzsichtig, aber ich lief voran, denn einen Weg zu bahnen, das kann ich besser. -- Links! -- rechts! -- rief sie, und so gings über abgemähte Felder, endlich an einen Graben mit Wasser, den wir glücklich übersprangen, dann über Zäune, dann Wiesen, dann Gärten, und der Mond war auf, beleuchtet einen brei¬ ten Weg, der nach dem Ort führt, aber ein großes festes Thor schließt diese verwünschte Stadt, die in ihrem Mondschein in Todtenstille versunken liegt, daß nicht ein Hund bellt, nicht eine Katz mauzt. Da stehen wir mit unsern Stecken in der Hand und gucken das Thor an, das war mir schon sehr lächerlich, ich sag: ob ich versuch hinüber zu klettern? -- denn es war oben offen, aber unmöglich, denn es war sehr hoch, von eichnen Bohlen in ein Paar glatte dicke Pfähle die An¬ geln eingefügt. Da seh mal, sagt die Tonie, da ist
drum konnten wir ſie in der Ferne nicht ſehen; wir ruhten gelaſſen ein Weilchen, und da war es ſo groß um uns her, und das that ſo wohl, und dann ward es heller, der Mond mußte bald kommen, da wußten wir, daß es um elf Uhr war. — Jetzt ſah die Tonie einen Ort für ganz gewiß, ſie ſah das Kirchdach deut¬ lich glänzen, wir ſchlenderten, rutſchten, kletterten und kamen in die Ebene. Die Tonie behielt das Kirchdach im Aug, ich war zu kurzſichtig, aber ich lief voran, denn einen Weg zu bahnen, das kann ich beſſer. — Links! — rechts! — rief ſie, und ſo gings über abgemähte Felder, endlich an einen Graben mit Waſſer, den wir glücklich überſprangen, dann über Zäune, dann Wieſen, dann Gärten, und der Mond war auf, beleuchtet einen brei¬ ten Weg, der nach dem Ort führt, aber ein großes feſtes Thor ſchließt dieſe verwünſchte Stadt, die in ihrem Mondſchein in Todtenſtille verſunken liegt, daß nicht ein Hund bellt, nicht eine Katz mauzt. Da ſtehen wir mit unſern Stecken in der Hand und gucken das Thor an, das war mir ſchon ſehr lächerlich, ich ſag: ob ich verſuch hinüber zu klettern? — denn es war oben offen, aber unmöglich, denn es war ſehr hoch, von eichnen Bohlen in ein Paar glatte dicke Pfähle die An¬ geln eingefügt. Da ſeh mal, ſagt die Tonie, da iſt
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drum konnten wir ſie in der Ferne nicht ſehen; wir
ruhten gelaſſen ein Weilchen, und da war es ſo groß
um uns her, und das that ſo wohl, und dann ward
es heller, der Mond mußte bald kommen, da wußten
wir, daß es um elf Uhr war. — Jetzt ſah die Tonie
einen Ort für ganz gewiß, ſie ſah das Kirchdach deut¬
lich glänzen, wir ſchlenderten, rutſchten, kletterten und
kamen in die Ebene. Die Tonie behielt das Kirchdach
im Aug, ich war zu kurzſichtig, aber ich lief voran,
denn einen Weg zu bahnen, das kann ich beſſer. — Links! —
rechts! — rief ſie, und ſo gings über abgemähte Felder,
endlich an einen Graben mit Waſſer, den wir glücklich
überſprangen, dann über Zäune, dann Wieſen, dann
Gärten, und der Mond war auf, beleuchtet einen brei¬
ten Weg, der nach dem Ort führt, aber ein großes
feſtes Thor ſchließt dieſe verwünſchte Stadt, die in
ihrem Mondſchein in Todtenſtille verſunken liegt, daß
nicht ein Hund bellt, nicht eine Katz mauzt. Da ſtehen
wir mit unſern Stecken in der Hand und gucken das
Thor an, das war mir ſchon ſehr lächerlich, ich ſag:
ob ich verſuch hinüber zu klettern? — denn es war oben
offen, aber unmöglich, denn es war ſehr hoch, von
eichnen Bohlen in ein Paar glatte dicke Pfähle die An¬
geln eingefügt. Da ſeh mal, ſagt die Tonie, da iſt
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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/171>, abgerufen am 26.11.2024.
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