her getragen, durch die Lüfte, die ganze Gewalt der Of¬ fenbarung über uns ausströmend, und dann verschwe¬ bend; -- wer kann sie wieder wecken, wenn sie verhallt ist; ich bin so närrisch, mir deucht ich müßt verzweifeln, daß sie verklungen ist, und hab ihr nichts abgewinnen können. So wirds noch manchmal gehen, es wird klingen und ich werds nicht fassen. Gestern sprach ich mit der Großmutter, die sagte: was der Ver¬ stand nicht faßt, das begreift das Herz. -- Ich begreif das wieder nicht.
Heut Morgen sagt der Hoffmann: "Der einfache Harmoniensprung ist, wenn zwischen zwei auf einander folgenden Accorden eine Harmonie im Verstande gehört wird." -- Ich hör nicht im Verstand diese Harmonie, ich bin ganz durchdrungen von dem was ich fühle, nicht was ich versteh. -- Glaubs, Musik wirkt, begeistert, entzückt, nicht dadurch, daß wir sie hören, sondern durch die Macht der übergangnen dazwischenliegenden Har¬ monien, diese halten den hörbaren körperlichen Geist der Musik durch ihre unhörbare geistige Macht verbun¬ den mit sich. -- Das ist das ungeheure Einwirken auf uns, daß wir durchs Gehörte gereizt werden zum Un¬ gehörten; denn wir sind durch Einen Ton mit allen
her getragen, durch die Lüfte, die ganze Gewalt der Of¬ fenbarung über uns ausſtrömend, und dann verſchwe¬ bend; — wer kann ſie wieder wecken, wenn ſie verhallt iſt; ich bin ſo närriſch, mir deucht ich müßt verzweifeln, daß ſie verklungen iſt, und hab ihr nichts abgewinnen können. So wirds noch manchmal gehen, es wird klingen und ich werds nicht faſſen. Geſtern ſprach ich mit der Großmutter, die ſagte: was der Ver¬ ſtand nicht faßt, das begreift das Herz. — Ich begreif das wieder nicht.
Heut Morgen ſagt der Hoffmann: „Der einfache Harmonienſprung iſt, wenn zwiſchen zwei auf einander folgenden Accorden eine Harmonie im Verſtande gehört wird.“ — Ich hör nicht im Verſtand dieſe Harmonie, ich bin ganz durchdrungen von dem was ich fühle, nicht was ich verſteh. — Glaubs, Muſik wirkt, begeiſtert, entzückt, nicht dadurch, daß wir ſie hören, ſondern durch die Macht der übergangnen dazwiſchenliegenden Har¬ monien, dieſe halten den hörbaren körperlichen Geiſt der Muſik durch ihre unhörbare geiſtige Macht verbun¬ den mit ſich. — Das iſt das ungeheure Einwirken auf uns, daß wir durchs Gehörte gereizt werden zum Un¬ gehörten; denn wir ſind durch Einen Ton mit allen
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her getragen, durch die Lüfte, die ganze Gewalt der Of¬
fenbarung über uns ausſtrömend, und dann verſchwe¬
bend; — wer kann ſie wieder wecken, wenn ſie verhallt
iſt; ich bin ſo närriſch, mir deucht ich müßt verzweifeln,
daß ſie verklungen iſt, und hab ihr nichts abgewinnen
können. So wirds noch manchmal gehen, es wird
klingen und ich werds nicht faſſen. Geſtern
ſprach ich mit der Großmutter, die ſagte: was der Ver¬
ſtand nicht faßt, das begreift das Herz. — Ich begreif
das wieder nicht.
Heut Morgen ſagt der Hoffmann: „Der einfache
Harmonienſprung iſt, wenn zwiſchen zwei auf einander
folgenden Accorden eine Harmonie im Verſtande gehört
wird.“ — Ich hör nicht im Verſtand dieſe Harmonie,
ich bin ganz durchdrungen von dem was ich fühle, nicht
was ich verſteh. — Glaubs, Muſik wirkt, begeiſtert,
entzückt, nicht dadurch, daß wir ſie hören, ſondern durch
die Macht der übergangnen dazwiſchenliegenden Har¬
monien, dieſe halten den hörbaren körperlichen Geiſt
der Muſik durch ihre unhörbare geiſtige Macht verbun¬
den mit ſich. — Das iſt das ungeheure Einwirken auf
uns, daß wir durchs Gehörte gereizt werden zum Un¬
gehörten; denn wir ſind durch Einen Ton mit allen
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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/188>, abgerufen am 25.11.2024.
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