Das mühselige Menschengeschlecht plappert wie die Elstern, es versteht nicht das Stöhnen der Liebe, das muß ich sagen weil die Nachtigallen so süß stöh¬ nen über mir. Vier Nachtigallen sinds, auch im vori¬ gen Jahr warens Vier. Ja lieben werd ich wohl nie, ich müßt mich vor den Nachtigallen schämen daß ichs nicht könnt wie die. -- Wie hauchen sie doch ihre Seel in die Kunst der Wollust, in die Musik -- und in ei¬ nen Ton hinein, so rein, so unschuldig -- so wahr und tief-- was keine Menschenseele weder durch die Stimme noch durch das Instrument hervorbringen kann. War¬ um doch der Mensch erst singen lernen muß, während die Nachtigall es so rein, so ganz ohne Fehl versteht tief ins Herz zu singen, ich hab noch gar keinen Ge¬ sang gehört von Menschen, der mich so berührt wie die Nachtigall -- eben dacht ich, weil ich ihnen so tief zu¬ hör, ob sie mir wohl auch zuhören wollten, wie sie eine Pause machten, kaum heb ich die Stimm, da schmettern sie alle vier zusammen los, als wollten sie sagen, lasse uns unser Reich. Arien, Operngesänge sind wie lauter falsche Tendenzen der sittlichen Welt, es ist die Decla¬ mation einer falschen Begeisterung. Doch ist der Mensch hingerissen von erhabner Musik, Warum nur, wenn er nicht selbst erhaben ist? -- Ja, es ist doch ein
Das mühſelige Menſchengeſchlecht plappert wie die Elſtern, es verſteht nicht das Stöhnen der Liebe, das muß ich ſagen weil die Nachtigallen ſo ſüß ſtöh¬ nen über mir. Vier Nachtigallen ſinds, auch im vori¬ gen Jahr warens Vier. Ja lieben werd ich wohl nie, ich müßt mich vor den Nachtigallen ſchämen daß ichs nicht könnt wie die. — Wie hauchen ſie doch ihre Seel in die Kunſt der Wolluſt, in die Muſik — und in ei¬ nen Ton hinein, ſo rein, ſo unſchuldig — ſo wahr und tief— was keine Menſchenſeele weder durch die Stimme noch durch das Inſtrument hervorbringen kann. War¬ um doch der Menſch erſt ſingen lernen muß, während die Nachtigall es ſo rein, ſo ganz ohne Fehl verſteht tief ins Herz zu ſingen, ich hab noch gar keinen Ge¬ ſang gehört von Menſchen, der mich ſo berührt wie die Nachtigall — eben dacht ich, weil ich ihnen ſo tief zu¬ hör, ob ſie mir wohl auch zuhören wollten, wie ſie eine Pauſe machten, kaum heb ich die Stimm, da ſchmettern ſie alle vier zuſammen los, als wollten ſie ſagen, laſſe uns unſer Reich. Arien, Operngeſänge ſind wie lauter falſche Tendenzen der ſittlichen Welt, es iſt die Decla¬ mation einer falſchen Begeiſterung. Doch iſt der Menſch hingeriſſen von erhabner Muſik, Warum nur, wenn er nicht ſelbſt erhaben iſt? — Ja, es iſt doch ein
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Das mühſelige Menſchengeſchlecht plappert wie
die Elſtern, es verſteht nicht das Stöhnen der Liebe,
das muß ich ſagen weil die Nachtigallen ſo ſüß ſtöh¬
nen über mir. Vier Nachtigallen ſinds, auch im vori¬
gen Jahr warens Vier. Ja lieben werd ich wohl nie,
ich müßt mich vor den Nachtigallen ſchämen daß ichs
nicht könnt wie die. — Wie hauchen ſie doch ihre Seel
in die Kunſt der Wolluſt, in die Muſik — und in ei¬
nen Ton hinein, ſo rein, ſo unſchuldig — ſo wahr und
tief— was keine Menſchenſeele weder durch die Stimme
noch durch das Inſtrument hervorbringen kann. War¬
um doch der Menſch erſt ſingen lernen muß, während
die Nachtigall es ſo rein, ſo ganz ohne Fehl verſteht
tief ins Herz zu ſingen, ich hab noch gar keinen Ge¬
ſang gehört von Menſchen, der mich ſo berührt wie die
Nachtigall — eben dacht ich, weil ich ihnen ſo tief zu¬
hör, ob ſie mir wohl auch zuhören wollten, wie ſie eine
Pauſe machten, kaum heb ich die Stimm, da ſchmettern
ſie alle vier zuſammen los, als wollten ſie ſagen, laſſe
uns unſer Reich. Arien, Operngeſänge ſind wie lauter
falſche Tendenzen der ſittlichen Welt, es iſt die Decla¬
mation einer falſchen Begeiſterung. Doch iſt der
Menſch hingeriſſen von erhabner Muſik, Warum nur,
wenn er nicht ſelbſt erhaben iſt? — Ja, es iſt doch ein
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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/264>, abgerufen am 25.11.2024.
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