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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840.

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Gipfel über den Nebeln mir aufstieg, denn weil ich gern
mit Augen ihn sehen wollt. -- Wie vertiefte sich doch
mein Blick in ihn, und merkte nichts vom Abenddun¬
kel und daß er mich im Schleier fing der Nacht
und ganz drinn einwickelte. Ja wecke Du das Leben
so ists gleich selbstständig und überrumpelt Dich. Und
Du gehörst ihm statt das es dein gehöre. -- Ich hab
aber noch was ganz anders im Schild, das will ich
Dir hier sagen: stärker die Gewalt je lebendiger ist
sie, drum ist Schönheit der lebendige Geist, denn sie
weckt allein Leben, -- alles andre weckt den Geist nicht.
Ach wie schmachtet doch die Seele nach Schönheit,
nach Leben, -- die Schönheit ist Lebensnahrung der Seele.
Das ganze Unglück ist wenn nicht alles Schönheit um
uns ist, da stirbt alles ab, und auch für die Ewigkeit
ist alles verloren was nicht Keim der Schönheit ist.
Sehnsucht ist Schönheitskeim der sich entfaltet. --
Sehnsucht ist inbrünstige Schönheitsliebe.

Heute Nachmittag brachte der Büri der Gro߬
mama ein Buch für mich -- Schillers Ästetik -- ich
sollts lesen meinen Geist zu bilden; ich war ganz
erschrocken wie er mirs in die Hand gab als könnts
mir schaden, ich schleuderts von mir. -- meinen Geist

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Gipfel über den Nebeln mir aufſtieg, denn weil ich gern
mit Augen ihn ſehen wollt. — Wie vertiefte ſich doch
mein Blick in ihn, und merkte nichts vom Abenddun¬
kel und daß er mich im Schleier fing der Nacht
und ganz drinn einwickelte. Ja wecke Du das Leben
ſo iſts gleich ſelbſtſtändig und überrumpelt Dich. Und
Du gehörſt ihm ſtatt das es dein gehöre. — Ich hab
aber noch was ganz anders im Schild, das will ich
Dir hier ſagen: ſtärker die Gewalt je lebendiger iſt
ſie, drum iſt Schönheit der lebendige Geiſt, denn ſie
weckt allein Leben, — alles andre weckt den Geiſt nicht.
Ach wie ſchmachtet doch die Seele nach Schönheit,
nach Leben, — die Schönheit iſt Lebensnahrung der Seele.
Das ganze Unglück iſt wenn nicht alles Schönheit um
uns iſt, da ſtirbt alles ab, und auch für die Ewigkeit
iſt alles verloren was nicht Keim der Schönheit iſt.
Sehnſucht iſt Schönheitskeim der ſich entfaltet. —
Sehnſucht iſt inbrünſtige Schönheitsliebe.

Heute Nachmittag brachte der Büri der Gro߬
mama ein Buch für mich — Schillers Äſtetik — ich
ſollts leſen meinen Geiſt zu bilden; ich war ganz
erſchrocken wie er mirs in die Hand gab als könnts
mir ſchaden, ich ſchleuderts von mir. — meinen Geiſt

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[289/0305] Gipfel über den Nebeln mir aufſtieg, denn weil ich gern mit Augen ihn ſehen wollt. — Wie vertiefte ſich doch mein Blick in ihn, und merkte nichts vom Abenddun¬ kel und daß er mich im Schleier fing der Nacht und ganz drinn einwickelte. Ja wecke Du das Leben ſo iſts gleich ſelbſtſtändig und überrumpelt Dich. Und Du gehörſt ihm ſtatt das es dein gehöre. — Ich hab aber noch was ganz anders im Schild, das will ich Dir hier ſagen: ſtärker die Gewalt je lebendiger iſt ſie, drum iſt Schönheit der lebendige Geiſt, denn ſie weckt allein Leben, — alles andre weckt den Geiſt nicht. Ach wie ſchmachtet doch die Seele nach Schönheit, nach Leben, — die Schönheit iſt Lebensnahrung der Seele. Das ganze Unglück iſt wenn nicht alles Schönheit um uns iſt, da ſtirbt alles ab, und auch für die Ewigkeit iſt alles verloren was nicht Keim der Schönheit iſt. Sehnſucht iſt Schönheitskeim der ſich entfaltet. — Sehnſucht iſt inbrünſtige Schönheitsliebe. Heute Nachmittag brachte der Büri der Gro߬ mama ein Buch für mich — Schillers Äſtetik — ich ſollts leſen meinen Geiſt zu bilden; ich war ganz erſchrocken wie er mirs in die Hand gab als könnts mir ſchaden, ich ſchleuderts von mir. — meinen Geiſt 13

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/305>, abgerufen am 29.05.2024.