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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840.

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Violetta.

So will ich deine Lieb' als Gast empfangen;
Da sie entfliehet wie ein satt Verlangen,
Vergönnt mein Herz Ihr keine Heimath mehr.

Narziß.

O sieh den Frühling! gleicht er nicht der Liebe?
Er lächelt wonnig, freundlich, und das trübe
Gewölk des Winters, niemand schaut es mehr!
Er ist nicht Gast, er herrscht in allen Dingen,
Er küßt sie Alle, und ein neues Ringen
Und Regen wird in allen Wesen wach.
Und dennoch reißt er sich aus Tellas Armen,
Auch andre Zonen soll sein Hauch erwärmen,
Auch Andern bringt er neuen, schönen Tag.

Violetta.

Hast du die heil'ge Treue nie gekennet?

Narziß.

Mir ist nicht Treue was ihr also nennet,
Mir ist nicht treulos was euch treulos ist! --
Wer den Moment des höchsten Lebens theilet,
Vergessend nicht, in Liebe selig weilet;
Beurtheilt noch, und noch berechnend, mißt;
Den nenn' ich treulos, -- ihm ist nicht zu trauen,
Sein kalt Bewußtsein wird dich klar durchschauen
Und deines Selbstvergessens Richter sein.
Doch ich bin treu! Erfüllt vom Gegenstande

Violetta.

So will ich deine Lieb' als Gaſt empfangen;
Da ſie entfliehet wie ein ſatt Verlangen,
Vergönnt mein Herz Ihr keine Heimath mehr.

Narziß.

O ſieh den Frühling! gleicht er nicht der Liebe?
Er lächelt wonnig, freundlich, und das trübe
Gewölk des Winters, niemand ſchaut es mehr!
Er iſt nicht Gaſt, er herrſcht in allen Dingen,
Er küßt ſie Alle, und ein neues Ringen
Und Regen wird in allen Weſen wach.
Und dennoch reißt er ſich aus Tellas Armen,
Auch andre Zonen ſoll ſein Hauch erwärmen,
Auch Andern bringt er neuen, ſchönen Tag.

Violetta.

Haſt du die heil'ge Treue nie gekennet?

Narziß.

Mir iſt nicht Treue was ihr alſo nennet,
Mir iſt nicht treulos was euch treulos iſt! —
Wer den Moment des höchſten Lebens theilet,
Vergeſſend nicht, in Liebe ſelig weilet;
Beurtheilt noch, und noch berechnend, mißt;
Den nenn' ich treulos, — ihm iſt nicht zu trauen,
Sein kalt Bewußtſein wird dich klar durchſchauen
Und deines Selbſtvergeſſens Richter ſein.
Doch ich bin treu! Erfüllt vom Gegenſtande

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[50/0066] Violetta. So will ich deine Lieb' als Gaſt empfangen; Da ſie entfliehet wie ein ſatt Verlangen, Vergönnt mein Herz Ihr keine Heimath mehr. Narziß. O ſieh den Frühling! gleicht er nicht der Liebe? Er lächelt wonnig, freundlich, und das trübe Gewölk des Winters, niemand ſchaut es mehr! Er iſt nicht Gaſt, er herrſcht in allen Dingen, Er küßt ſie Alle, und ein neues Ringen Und Regen wird in allen Weſen wach. Und dennoch reißt er ſich aus Tellas Armen, Auch andre Zonen ſoll ſein Hauch erwärmen, Auch Andern bringt er neuen, ſchönen Tag. Violetta. Haſt du die heil'ge Treue nie gekennet? Narziß. Mir iſt nicht Treue was ihr alſo nennet, Mir iſt nicht treulos was euch treulos iſt! — Wer den Moment des höchſten Lebens theilet, Vergeſſend nicht, in Liebe ſelig weilet; Beurtheilt noch, und noch berechnend, mißt; Den nenn' ich treulos, — ihm iſt nicht zu trauen, Sein kalt Bewußtſein wird dich klar durchſchauen Und deines Selbſtvergeſſens Richter ſein. Doch ich bin treu! Erfüllt vom Gegenſtande

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/66>, abgerufen am 24.11.2024.